Dem Leben beim Leben zusehen

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kleine hexe Avatar

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Nicht viel anderes geschieht in diesem Buch. Aber es ist wunderschön. Wir sehen einer Familie zu, wie sie entsteht, lebt, liebt, leidet, sich entzweit, fast zerbricht, sich wieder einfindet, vor allem dies, immer wieder zueinander findet, sich gegenseitig Halt gibt, füreinander da ist.
Ein Mann und eine Frau heiraten, haben im Laufe der Jahre vier Töchter, eine jede mit ihren Eigenheiten, Problemen, Ängsten, aber auch Lieben, Freuden, Erfüllungen. Die Eltern sind immer für sie da, bereit zu helfen, zu unterstützen. Gleichzeitig aber gelingt es ihnen, sich nicht in ihrer Töchterschar zu verlieren, sich nur noch als Eltern zu definieren. Sie bleiben gleichzeitig auch sie selbst, ein Mann und eine Frau, die sich lieben, sich nach einem Streit wieder versöhnen, so stark aufeinander ausgeprägt sind, dass sie es spüren, wenn der Partner sich entfernt und dann um ihre Liebe und Ehe kämpfen. Sie bieten ihren Töchtern ein ideales Modell einer Ehe und ein wunderschönes Elternhaus, mit all seiner Geborgenheit, Wärme und Liebe. Die Töchter wünschen sich, jede für sich, nichts sehnlicher, als das Glück, die Liebe und die Ehe ihrer Eltern im eigenen Leben wieder zu finden. Aber sie haben nicht mitbekommen, dass eine Ehe und eine langanhaltende Liebe einem nicht in den Schoß fallen. Man muss dafür kämpfen, täglich aufs Neue. Außer der Liebe gehören auch gegenseitiger Respekt und Achtung zu einer guten Ehe, ebenso wie auch die Fähigkeit und Bereitschaft dem Partner zuzuhören, ihn auch ohne Worte zu verstehen. Und das gelingt David und Marilyn, ohne viel Aufhebens, ohne große Gesten. Die Töchter wollen auch solch eine Ehe führen. Wendy, die älteste, hatte in ihrer Kindheit und Jugend das Gefühl, von ihren Eltern und Schwestern übersehen zu werden, übergangen, ja sogar unsichtbar zu sein. Sie reagiert mit unbeherrschten Wutausbrüchen, später mit Essstörungen. Wendy lernt einen Mann kennen, verliebt sich in ihn, sie heiraten, obwohl er bedeutend älter ist als sie. Es ist eine glückliche und gute Ehe, voller Liebe und Verständnis. Wendy erleidet eine Fehlgeburt, Miles stirbt an Krebs. Wendy bleibt allein zurück, tröstet sich mit Alkohol und jüngeren Männern und versucht, neben ihren schrecklichen Verlusten auch noch Verständnis für ihre jüngere Schwester Violet aufzubringen. Violet ist egoistisch, in ihrem persönlichen Glück gefangen, verdrängt sie, was Wendy für sie getan hat, wie sehr ihr Wendy geholfen hat, ihr in allen Entscheidungen beigestanden hat. Violet hat in meinen Augen große Schuld auf sich geladen, Wendy gegenüber, ihren Eltern, ihren Kindern. Dass sie es letztendlich schafft, mit allen ins Reine zu kommen, ihren ältesten Sohn voll zu akzeptieren, Wendy gegenüber ihre Schuld einzugestehen, verdankt Violet ihrem Mann Matt, der sie drängt sich mit Jonah und Wendy auszusprechen.
Liza, die dritte Schwester, hat es auch nicht leicht. Ihr Lebenspartner Ryan ist depressiv, gefangen in seiner Krankheit steht er ihr in Nichts bei, sie findet bei ihm keinen Halt. Auch als sie schwanger ist, kann er nur für kurze Zeit seine Depression überwinden, verfällt ihr dann aber wieder. Als er von ihrem Seitensprung erfährt verlässt er sie. Das war aber für ihn anscheinend der richtige Schritt. In einer anderen Umgebung findet er Halt in seiner Arbeit, hat nun einen anderen Arzt, der ihm die Medikation wechselt und es geht ihm besser. Langsam findet eine Annäherung zwischen Liza und Ryan statt, nach der Geburt von Kitt.
Grace, die letztgeborene Tochter, das Nesthäkchen, gibt vor in Portland zu studieren, schlägt sich aber mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs durch. Es fehlt ihr an Selbstvertrauen, an Mut. Sie hatte immer vor Augen die Eltern, die erfolgreichen Schwestern, sieht sich in ihren Schatten.
Die Familie beginnt langsam auseinander zu driften. Die Schwestern entfernen sich voneinander, man sieht sich fast nur noch zu den Festtagen bei den Eltern. Doch dann taucht Jonah auf. Mit seinen fünfzehn Jahren stellt er das Leben von Violet auf den Kopf, bringt Wendy dazu, ihr Leben zu überdenken, trägt dazu bei, dass Liza und Gracy den Schritt nach vorne wagen, Gracy gesteht ihrer Familie ihre Lebenslüge, Liza fasst wieder Fuß nachdem Ryan sie verlassen hat, stellt sich ganz auf ihre Tochter ein. Für Marilyn und David ist Jonah eine Freude und Bereicherung ihres Lebens. Und Jonah selber? Bis er zur Familie Sorenson kam, durchlebte er ein bewegtes und schwieriges Leben, alternierend zwischen Kinderheimen und Pflegefamilien. Witzig, intelligent, humorvoll, findet er zu allen den richtigen Draht und genießt es Menschen um sich zu haben. Anfangs kann er es kaum glauben, da sind Leute, die sich tatsächlich um ihn sorgen, auf sein Wohlergehen bedacht sind. Jonah bringt intuitiv Verständnis für alle Mitglieder der Sorensen Familie auf, vereint sie wieder, hilft ihnen auf das Wesentliche zu fokussieren: die Familie, die Liebe und das Verständnis und auch das Verzeihen, ohne die eine Familie nie funktionieren könnte. Gegen Ende des Romans als die Familie wieder zusammengefunden hat, fragt Wendy im Scherz ihre Schwester Liza ob sie high sei, kontert diese schlagfertig „Ja, vom Leben“. Es drückt allgemein die Stimmung in der Großfamilie aus. Irgendwie haben die Schwestern das erreicht, was ihre Eltern haben, auch wenn es ihnen noch nicht bewusst ist: sie sind zufrieden mit ihrem Leben, akzeptieren sich und ihre Partner so wie sie sind, hören einander zu, gehen aufeinander zu.
Der Roman setzt ein mit Wendys Hochzeit im Sommer 2000, Grace ist noch ein Kind, Violet lässt sich richtig volllaufen während Liza einen der Trauzeugen verführt. Die nächste Hochzeit ist dann Violets, auf der dann Wendy Trost im Alkohol sucht. Der Aufbau ist anfangs etwas verwirrend, die Kapitel alternieren zwischen der Gegenwart, den Stationen im Leben der Schwestern, der Jugend von Marilyn und David. Aber der Leser findet sich bald zurecht, erwartet die nächsten Etappen und Erklärungen. Die Fragen werden der Reihe nach beantwortet, neue Fragen aufgeworfen. Weshalb ist Violet betrunken und schadenfroh auf Wendys Hochzeit? Warum ist Wendy so verzweifelt auf Violets Hochzeit? Weshalb läuft Violet im Restaurant davon, als sie instinktiv erkennt mit wem Wendy da am Tisch sitzt? Wieso ist Violet zuerst so abstoßend und abweisend Jonah gegenüber und versucht seinen Kontakt zu Wyatt zu unterbinden? Weswegen verstrickt sich Gracie so in ihre Lebenslüge? Was bedeutet der Titel des Romans „Der größte Spaß, den wir je hatten“? Was hat es mit den Gingkoblättern auf dem Titelbild für eine Bewandtnis? Es hängt alles zusammen, verwebt sich zu einem großen dichten lebendigen Bild dieser Familie, mit ihren Höhen und Tiefen.
Wahrscheinlich wird es noch Krisen geben, aber solange sie sich immer wieder zu Thanksgiving treffen können und gemeinsam essen, lachen, lieben und verzeihen können, wird alles gut.