Ein geglücktes Leben

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Welch ein Glücksfall für den Leser und die Literatur, dass Jonathan Lee eines Tages im Jahr 2012 im Central Park einen Spaziergang unternommen hat. Und dabei durch Zufall auf eine alte Steinbank stieß, die einem weitgehend in Vergessenheit geratenen Mann namens Andrew Haswell Green gewidmet ist. Der im englischen Surrey aufgewachsene Autor nahm die Begegnung zum Anlass, sich auf die Spuren des Lebens des großen Unbekannten zu begeben, der auf einer Inschrift auf jener Bank immerhin als „Vater des Greater New York“ bezeichnet wird.

Die intensive Recherche hat sich gelohnt. Im vergangenen Jahr erschien der großartige Roman „The Great Mistake“, der jetzt für den deutschen Markt vom Diogenes-Verlag unter dem Titel „Der große Fehler“ in der Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence veröffentlicht worden ist.

Jonathan Lee zeichnet das Bild eines Mannes, dessen erfülltes Leben am 13. November 1903 durch einen Mord endet, weil er im betagten Alter von 83 Jahren noch Opfer einer Verwechslung wird. Von diesem Ende aus webt der Autor die Biografie seines Protagonisten und erweckt ihn im 21. Jahrhundert noch einmal zum Leben.

Schon in der Kindheit auf dem Land wird das eigentliche Talent des späteren Stadtplaners Andrew Haswell Green erkennbar: Er ist ein Junge, der mit seiner „Fantasie die Lücken der Realität“ füllt. Green wird als großer Idealist skizziert, der niemals die Hoffnung fahren lässt, dass es irgendwo doch ein richtiges Leben im falschen geben muss. An der Seite seines besten Freundes, dem späteren US-Präsidentschaftskandidaten Samuel Tilden, verwirklicht er mit der Gestaltung des Central Park seinen großen Lebenstraum.

Der Central Park ist das Sinnbild für eine nahezu ideale Gesellschaft, in der sich Menschen fernab von Rassismus und Klassenunterschieden im öffentlichen Raum begegnen können. Immer wieder schimmert auch das Leitmotiv „Bildung für Alle“ durch die facettenreiche Lebensgeschichte, sobald der Leser den Hauptdarsteller durch die großen Bibliotheken jener Zeit begleitet.

„Der große Fehler“ ist ein Roman, der Mut und Hoffnung zugleich macht. Es gab und gibt sie in allen Zeiten. Die Vorreiter, Gestalter und Politiker, die den Schauplatz ihres Handelns nicht größer, sondern in erster Linie besser machen wollen. Jonathan Lee lädt zu einer Zeitreise durch ein geglücktes Leben ein. Daran ändert die Tatsache nichts, dass der Roman auch von einer großen Liebe handelt, die der damaligen Zeit geschuldet zu weiten Teilen unerfüllt bleiben musste.

Wer Andrew Haswell Green begleitet, legt das überaus lesenswerte Buch so schnell nicht mehr aus der Hand. Und beendet irgendwann die Lektüre mit der Erkenntnis, dass es durchaus die Mühe wert sein kann, an seinen Idealen festzuhalten. Nicht zu vergessen die Ermutigung, bei jedem Spaziergang die Umgebung mit offenen Sinnen wahrzunehmen.