Ein wechselhaftes Lesevergnügen

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Andrew Haswell Green (1820 bis 1903) war Anwalt mit Liebe zu Architektur und Stadtplanung. In dieser Eigenschaft hat er sich große Verdienste um die Stadt sowie den Großraum New York erworben und gilt als treibende Kraft hinter öffentlichen Einrichtungen wie der Public Library, dem Central Park oder verschiedenen Museen. Er wird als Vater von Greater New York verehrt. Als Spross einfacher Leute lagen ihm diese auch immer besonders am Herzen. An Andrew Green erinnert im Central Park nur noch eine vernachlässigte Marmorbank. Mit diesem Roman soll er wohl dem Vergessen entrissen werden. Ein Versuch, der meines Erachtens nicht allzu gut gelungen ist.

Der Leser begegnet Andrew Haswell Green zum ersten Mal an seinem Todestag, als er von einem offenbar verwirrten farbigen Täter erschossen wird. Ein Motiv ist zunächst völlig unklar. In verschiedenen Rückblicken wird das wechselhafte Leben des Protagonisten beschrieben. Er war eines von elf Kindern, die Mutter starb, als Andrew zwölf Jahre alt war, der Vater heiratete mehrfach wieder. Das Verhältnis zum Vater und den Geschwistern war angespannt. Gegen seinen Willen wurde der Junge nach New York zu einem Händler zur Ausbildung gebracht. Bereits dort zeigt sich sein überdurchschnittlicher Organisations- und Ordnungssinn. Er lernt den späteren Präsidentschaftskandidaten Samuel J. Tilden kennen, mit dem ihn eine lebenslange, nicht immer einfache Freundschaft verbinden wird, auch beruflich führen sie später gemeinsam eine Rechtsanwaltskanzlei. Bis es dazu kommt, vergehen jedoch schwierige Jahre, die Andrew Green bis nach Trinidad führen, wo er als Aufseher auf einer Farm arbeitet – eine Tätigkeit, die er lebenslang als schwarzen Fleck auf seiner Vita betrachtet, die ihm aber das notwendige Kleingeld verschaffte, um später studieren zu können.

All die Abschnitte über das Leben des berühmten Mannes habe ich sehr gerne und interessiert gelesen. Leider wird diese Haupthandlung jedoch immer wieder durch andere Nebenhandlungen unterbrochen. Da gibt es die Versuche des offenbar erfolgshungrigen, ehrgeizigen Inspektors McClusky, den Mordfall aufzuklären. Krampfhaft sucht er nach einem Motiv, obwohl der Täter auf frischer Tat ertappt wurde und die Tat sich eher als Verwechslung oder Missgeschick darstellt. Vermeintlich witzige Episoden um den aggressiven Elefanten Topsy, den der Inspektor im wahrsten Sinne des Wortes festsetzt (und der sich auch auf dem Titelbild wiederfindet), reichern den Roman an, lenken aber auch immer wieder ab. Die weiter zurückliegende Vergangenheit des Polizisten empfinde ich ebenso irrelevant wie die Erlebnisse der lebenspraktischen, originellen Greenschen Haushälterin Mrs. Bray.

Die Stärken des Romans liegen eindeutig in den Reflexionen des alten Andrew Green auf die Stationen seines Lebens. Ihnen wohnen altersweise und allgemeingültige Erkenntnisse inne. Es wird deutlich, wie schwer es ein einfacher Mann hat, zu Ausbildung und Ansehen zu kommen. Abstammung, Vermögen und Verbindungen sind in der prosperierenden Stadt New York zunächst die Währung, die zählt. Doch in Andrew Greens Fall setzt sich Qualität durch, er wird zu einem Pionier des Amerikanischen Traums, wird bald als geschickter Verhandler sowie intelligenter Strippenzieher geschätzt, was ihm die Tore zu seinem späteren Lebenswerk öffnet.

Die bewegte Lebensgeschichte von Andrew Green müsste eigentlich genug Stoff bieten, um einen Roman von rund 350 Seiten Länge zu füllen. Stattdessen verliert sich der Autor in Nebenschauplätzen, so dass viel Interessantes auf der Strecke bleibt und nicht vertieft wird. Beim Lesen verfestigte sich mein Eindruck, dass sich die Szenerie immer gerade dann, wenn ich mich eingelesen hatte, wieder veränderte. So konnte kein Lesefluss entstehen. Die zweifellos originellen Nebencharaktere blieben für mich als Nicht-Amerikanerin belanglos, der ständige Wechsel führte eher zu Lesefrust denn zu Leselust. Die Grundidee, Andrew Haswell Green als bedeutende Persönlichkeit wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen, ist sicher löblich, allerdings aus meiner Sicht einigermaßen misslungen. Dem Roman vorangestellt ist ein Zitat von Novalis: „Der Roman ist aus Mangel der Geschichte entstanden.“ Ist das der Grund? Hat die belegbare Biografie des Entrepreneurs nicht mehr hergegeben? Wir wissen es nicht.

Ich empfehle den Roman trotzdem allen Lesern, die sich für die Geschichte Amerikas und der Stadt New York interessieren. Vielleicht kommt der Roman bei Menschen, die gerne Humorvolles lesen, auch besser an. Der Schreibstil an sich ist gekonnt und eloquent. Ich möchte nur den Inhalt bemängeln, der aus meiner Sicht mit Licht und Schatten aufwartet. Alles Geschmackssache, für mich bleibt das Buch hinter seinen Möglichkeiten zurück und hinterlässt keinen bleibenden Eindruck.