Fehler und Verluste

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Andrew Haswell Green macht in seinem Leben viele kleine Fehler, fällt aber einem sehr großen tragisch zum Opfer. Jonathan Lee hat es sich in seinem Roman zur Aufgabe gemacht, dem Vater des Central Parks und Greater New Yorks sein wohlverdientes Denkmal zu setzen. Allerdings macht er aus der einen großen Geschichte, die Greens Leben detailreich nachzeichnen könnte, viele kleine Episoden und Fragmente, verzettelt und verliert sich und am Ende weiß der Leser kaum mehr über Green als vor der Lektüre. Zu wenig wird von Lee der größere zeitgeschichtliche Kontext bemüht, zu sehr bleibt er sprunghaft an Einzelheiten hängen, deren Einordnung sich dem Wissen des durchschnittlichen Lesers entzieht.

Bevölkert werden das New York des Jahres 1903 und die Vergangenheit von Green von Figuren, deren Konzeptionen im Wesentlichen darauf zu beruhen scheinen, dass eine allzu große Ernsthaftigkeit vermieden werden soll. Stattdessen scheinen sie zumindest teilweise einem Kuriositäten-Kabinett entsprungen zu sein und wirken überzeichnet bis bizarr. Zu Green selbst kann man kaum eine Bindung aufbauen, Lees Erzählstil ist von großer Distanz geprägt und erinnert auf altmodische Art an die Romane des 19. Jahrhunderts. Dennoch schwingt sich der Autor an zwei, aus dem eher langweiligen und mühsamen Erzählfluss herausragenden Stellen, zu ausgezeichneten Höhen auf. So trägt das Kapitel, das von Greens Trinidad-Aufenthalt erzählt, das sich motivisch mit Verlusten auseinandersetzt, sprachlich fast lyrische Züge, während eine Zugfahrt von Chicago nach New York zu einer ausgeweiteten Dankbarkeits-Reflexion wird, die ebenfalls sehr eingängig und höchst lesenswert ist.

Ansonsten aber macht der Roman oftmals viel Lärm um nichts. Weder der Kriminalfall noch die Lebensgeschichte Greens werden auserzählt, seine Verdienste um die Stadt New York werden zwar mehrfach erwähnt, aber so richtig deutlich wird seine Bedeutung nicht. Noch dazu verhindert die episodenhafte Struktur bisweilen, dass Zusammenhänge klar werden. Darüber hinaus ist der Roman über weite Strecken sehr langatmig, gerade die Erzählpassagen, die vermutlich besonders innovativ wirken sollen, verflachen auf seltsame Weise und bringen die Handlung nicht voran. So bleibt „Der große Fehler“ ein Roman, der bisweilen das große Potenzial seines Autors erkennen lässt, aber diesem – ähnlich wie dem Schicksal von Andrew Haswell Green – nicht gerecht wird.