Held oder Tölpel?

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martinabade Avatar

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Vor einigen Tagen betrat ich meine kleine, angestammte, besitzergeführte Buchhandlung. Nach einigem Small Talk mit dem Chef erzählte ich ihm, dass der „neue Maxim Leo“ meine nächste Lektüre sei. Die linke Augenbraue zog sich nach oben, ein überrascht kritischer Blick kroch misstrauisch über die beiden kleinen kugelrunden Brillengläser mit dem dezenten Goldrand. Dieses Buch werde die Gesellschaft spalten, prophezeite es aus dem gepflegten Revolutionärsbart. Auf welcher Seite er dabei stehen würde, war offensichtlich klar, während es an meiner Haltung offensichtlich begründete Zweifel gab. Nun denn, das bunte Buch unter dem Arm, verzog ich mich in den Lesesessel.

Um es vorne weg zu sagen: Dieses Buch wird gar nichts spalten, und schon gar nicht unsere Gesellschaft. Dieses Buch ist ein Märchen. Es war einmal. Oder ein Schelmenroman. Der Protagonist, Peter Hartung , enthält Spuren von Simplicissimus, vom mutigen Ritter Don Quijote, von den vielen Erzählungen über Till Eulenspiegel bis in die heutige Zeit,
von braven Soldaten Schwejk, von Felix Krull und nicht zuletzt von Peter Holtz. Kurz: Held wider Willen.

Maxim Leo ist Journalist und Autor. Er schreibt Kolumnen, Bücher, Drehbücher. Oft Krimis, Plots für den „Tatort“. Das adelt, zeigt uns aber gleichzeitig, dass wir es hier nicht mit Literatur in ihrem tieferen Sinne zu tun haben. Die Sprache des Autors ist straight und schnell, die Dramaturgie des Textes professionell, seinen Mutterwitz kann Leo 1:1 in geniale Sprachbehandlung umsetzen. Egal, wie quer manche Leser*innen das Buch in seiner Gänze einschätzen mögen: es wird niemanden geben, der oder die nicht wenigstens zwei oder drei Mal während des Lesens sehr laut lachen wird. Dazu kommen ein echtes Händchen für Situationskomik und ein Instinkt dafür, wie weit der Autor Themen oder Konstellationen treiben kann. Die Dosis macht eben das Gift.

Das Buch ist mutig, das ganze Projekt sitzt sozusagen stets und ständig auf der Rasierklinge. Schwanger oder nicht, Fan oder großes Kopfschütteln, ob so viel Geschmacklosigkeit. Dazwischen wird es wenige Schattierungen geben. In einer Kolumne über die politisch korrekte Sprachbehandlung schrieb Leo unter der Überschrift „Der verschwundene Negerkönig“: „Sprach-Säuberer denken ja immer, man könne mit Worten auch gleich Ideen oder Überzeugungen auslöschen. Meistens passiert aber genau das Gegenteil. Mich erinnert das an die DDR, wo die Mauer in der Schule „antifaschistischer Schutzwall“ hieß, was ihren Fall letztendlich nur beschleunigt hat.“

Nun aber in medias res.

„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist Michael Hartung. Der sitzt nach vielen Rückschlägen in seinem Leben in einer schlecht laufenden Videothek, die er sich von seinem ehemaligen Arbeitgeber hat andrehen lassen. Nun sieht er, wie die zu Hochtouren auflaufenden Streaming Dienste ihm die Existenz zerstören. Im „Moviestar“, wie der heruntergekommene Laden ironischerweise heißt, erscheint eines Tages der Journalist Alexander Landmann.

Er hat Hartungs Namen in einer Stasi-Akte zu einem spektakulären Fall entdeckt: Am 12. Juli 1983 landete eine S-Bahn aus der Hauptstadt der DDR, die dort hätte bleiben sollen, in West-Berlin. Hartung war zu dieser Zeit dort im Bahnhof für das Stellen der Weichen verantwortlich. Blöderweise brach ihm an diesem entscheidenden frühen Morgen der Sicherheitsbolzen der Weiche ab – und das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Landmann wittert seine Chance, es droht schließlich der nächste November. Die Mauerfall- und Wende- Gedenkmaschinerie braucht frisches Futter. Die Magie und das Gruselpotential der üblichen Revolutionsbärte verblasst fast 30 Jahre danach deutlich. Neuer Stoff muss her. Der Journalist greift einmal im richtigen Moment zu und landet einen veritablen Coup. Die Medien nehmen den Fall auf, die Sache gerät blitzesschnell aus dem Ruder. Es schaukelt sich eine gesellschaftliche Welle auf, die weder vor dem Bundestag noch vor der Liebe halt macht. Wer ist dieser Michael Hartung? Held oder Tölpel? Mutig oder dämlich? Das Buch stellt die wichtigen Fragen, ohne schwer zu werden. Und obwohl Leo manchmal „am offenen Herzen“ schreibt, verrät er keine seiner Figuren.

Und wie sagt die historische Beraterin der Deutschen Bahn, Frau Professor Ariadne von Schulzenburg-Glochau zu Hartung:„Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.“

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.