Der Herr des Turmes

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regenprinz Avatar

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Nach dem großartigen Auftaktband "Das Lied des Blutes" war ich sehr gespannt auf die Fortsetzung des kriegerischen Fantasy-Epos um Vaelin al Sorna. Meine Erwartungen waren entsprechend hoch, aber mit jedem Kapitel stellte sich mehr und mehr die Gewissheit ein, dass ich auch beim zweiten Band der Rabenschatten-Saga von Anthony Ryan nicht enttäuscht werden würde.
Die Geschichte ist weiterhin unglaublich farbig und facettenreich, es gibt sehr viele Figuren, die mitspielen und die Fantasywelt, in der sie agieren, ist rau und voller Gewalt. Es geht wieder um kriegerische Angriffe und kluge Verteidigungsstrategien, um Intrigen, Verrat und politische Diplomatie, um alte Feindschaften und neue Verbündete. Und natürlich geht es auch um magische Kräfte bzw. vielgestaltige "dunkle Gaben".
Vier wesentliche Handlungsstränge folgen in diesem Band abwechselnd verschiedenen Figuren. Zu meiner Überraschung stand Vaelin al Sorna dabei gar nicht unbedingt im Mittelpunkt, auch wenn am Ende mit seiner Ankunft alle Fäden zusammenlaufen. Die spannendste Entwicklung nahm für mich Reva, die ihn anfangs mit dem Messer zu töten versucht. Wie sie ihren Platz in Alltor, der umkämpften Stadt findet, wie sie ihre wahre Stärke entwickelt und welche Bedeutung sie am Ende für die dort Lebenden erlangt, fand ich beeindruckend geschildert.
Aber auch die Romanteile, die sich um Frentis sowie um Prinzessin Lyrna drehen, die mir beide aus dem ersten Band noch gut in Erinnerung waren, sind sorgfältig ausgearbeitet. Frentis kämpft verzweifelt gegen besondere Fesseln an und es dauert lange, bis er sich endlich davon befreien kann. Lyrna hat ebenfalls ein dramatisches Schicksal, sie knüpft Friedensbande mit den Lonakern, zeigt politische Größe - und geht bald darauf durch die Hölle, als die Valorianer unerwartet Varinsborg angreifen. Doch sie gibt nicht auf. Genausowenig wie es die anderen Hauptfiguren in diesem Epos tun und weshalb es solchen Spaß macht, diesen Roman zu lesen. Anthony Ryan schafft Helden, die überzeugen, weil sie zwar mitunter an sich zweifeln, aber hartnäckig weiter versuchen, das Richtige zu tun. Auch wenn das in den Augen der Herrschenden, mancher Ordensführer oder zum Beispiel eines fanatischen Kirchenpredigers in Alltor angeblich das Falsche ist.
Rabenschatten 2 ist ein würdiger Nachfolgeband, der erneut mit vielen Details aufwartet und die großen Themen Krieg und Frieden, Religion und Fanatismus, Magie und Aberglaube eindrucksvoll behandelt. Die Geschichte wirkt absolut ausgefeilt und bis ins Kleinste durchdacht. Die vielen Nebenfiguren beleben die Handlung, weil sie nicht nur als Staffage konzipert sind, sondern eigene Charaktere darstellen. Jede der Hauptfiguren hat besondere Gefährten zur Seite, die man so schnell nicht vergisst. Da stört es kaum, dass ausgerechnet Sherin in diesem zweiten Band gar nicht auftaucht, außer ganz selten einmal in Vaelins Gedanken.
Sprachlich habe ich auch nichts zu meckern. Der Stil ist eigentlich ganz schlicht und schnörkellos gehalten, dennoch gelingt es Anthony Ryan, seiner Geschichte einen spürbaren Zauber einzuhauchen.
Fazit: Ich bin von dieser Fortsetzung ebenso angetan wie vom ersten Teil. Rabenschatten ist ein großartiges Fantasy-Epos - eines von der Art, wie ich mir das als Leserin wünsche und wie man sie nur selten zu lesen bekommt. Trotz allen Lobes habe ich bei Anthony Ryan zwar manchmal das Gefühl, dass hier noch ein bisschen Luft nach oben ist (vielleicht gar nicht mal inhaltlich, sondern sprachlich) - deshalb ein Sternchen zu behalten, käme mir allerdings nicht in den Sinn. Ich bin jetzt schon gespannt und freue mich auf den dritten Teil!