Schwächelt ein bisschen, ist aber trotzdem großartiges Lesevergnügen!

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ismaela Avatar

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Die zweiten Teile von Trilogien haben es immer ein bisschen schwer - beim Spannungsaufbau vom ersten Teil und dem (hoffentlich!) grandiosen Ende des dritten Teiles, hat der Mittelteil immer eine Art Brückenfunktion. Bei "Der Herr des Turmes" ist dies nicht anders.

In diesem zweiten Teil der Rabenschatten-Trilogie erreicht der Held des ersten Bandes, Vaelin Al Sorna, das vereinigte Königreich. Er ist müde und ausgebrannt vom Kämpfen und Töten, und möchte einfach nur zur Ruhe kommen und seine Suche nach Frentis fortsetzen. Er wird zum Turmherren der Nordlande ernannt, wo er sich niederlässt. Doch natürlich ist ihm keine Ruhe vergönnt: das große volarianische Reich möchte die Königslande - und nicht nur diese - unterwerfen und gehen dabei mit beispielloser Grausamkeit vor. Die Schlacht um Alltor ist dabei ausschlaggebend.

Im vorliegenden Band wird die Geschichte aus der Gesicht von vier Personen abwechselnd geschildert: Vaelin, Reva, Lyrna und Frentis. Alle vier sind in eigener Sache unterwegs, aber trotzdem miteinander verbandelt. Zuerst hatte ich ein paar Schwierigkeiten damit, mich in diesem Stil zurechtzufinden, denn im ersten Band war Vaelin die Hauptfigur, die ich als "tragende Rolle" auch sehr gut ausgearbeitet fand. Jetzt gibt es gleich drei weitere davon, die in eigenen Handlungssträngen "leben":

Reva ist eine von einem dauerprügelnden Priester ausgebildete Kämpferin, die den Auftrag hat, das sagenumwobende Schwert ihres Vaters zu beschaffen und gleich auch noch Vaelin Al Sorna zu töten. Sie heftet sich an seine Fersen, und nach anfänglicher Keilerei raufen sich beide zusammen und merken bald, dass sie eine tiefe Freundschaft verbindet, auch wenn sich diese erst in Alltor richtig zeigt. Denn Reva muss bald erkennen, dass sie nur als Bauernopfer in einem groß angelegten Schlacht- und Glaubensplan verheizt hätte werden sollen, und fühlt sich zunächst auch von Vaelin verraten. Sie schlägt sich nach Alltor durch, wo ihr Onkel regiert und wird dort durch ihren Mut und den Kampf letztendlich zur Statthalterin.

Lyrna, die hochintelligente Prinzessin der Königslande reist zum Volk der Lonaker, um mit diesen ein Friedensabkommen zu schließen. Bei ihrer Rückkehr an den Hof wird ihre Familie ausgelöscht und sie damit zur Königin gemacht. Dies kann sie aber zunächst nicht wahrnehmen oder gar genießen, da sie durch das Attentat ebenfalls schwer gezeichnet wird, in die Hände von Sklavenhändlern gerät und sich erst nach einer gefahrvollen Reise wieder in der Heimat niederlassen kann, mit dem festen Vorsatz, das volarianische Reich auszulöschen.

Frentis hat es nicht gut getroffen: er gelangte als Sklave nach Volaria, wo er in den Gruben um Leben und Tod kämpfen musste, als ihn fünf Jahre später eine Frau kauft, die ihn mit unsichtbaren Fesseln an sich kettet und ihm ihren Willen aufzwingt, wodurch er gezwungen ist, Menschen zu ermorden und die Frau zu befriedigen, die sich irgendwann in ihn verliebt. Während sich beide Richtung Königslande bewegen, ist er von Hass und Mordgelüsten gegenüber seiner Bezwingerin getrieben, aber letztendlich kann er sie besiegen - beschwört damit aber ein von ihr angedrohtes Drama herauf, das wohl im dritten Teil noch näher ausgeführt wird.

Und Vaelin? Er möchte mit seiner Schwester im Nordturm Ruhe finden, sein Schwert niemals wieder auspacken müssen, aber natürlich kommt es anders. Er erfährt von den kriegerischen Volarianern und muss schlussendlich eine eigene Armee aufstellen und Richtung Alltor reiten, um Reva im Kampf um Alltor unterstützen zu können. Er schließt Bündnisse mit anderen Völkern und den Einwohnern von Orten und Städten in der näheren Umgebung, um eine Streitmacht zu haben, die es mit den Volarianern aufnehmen kann.

Jeder Buchabschnitt beginnt zudem vom Bericht des Geschichtsschreibers Verniers Alishe Someren, der auf der Flucht vor dem Krieg ebenfalls Sklavenhändlern in die Finger geriet, und nun der Frau des volarianischen Kommandanten gehört, der sich, sicher auf seinem Schiff vor Alltor liegend, als Kriegsheld feiern lässt, und am Schluss quasi aus allen Wolken fällt.

Soviel zum Plot.

Und mein Eindruck?

Ich fand "Der Herr des Turmes" richtig gut, er ist aber nicht so stark wie der erste Band. Durch die verschiedenen Personen, die auf ihrem Weg beschrieben werden, kann man natürlich mehrere direkte Handlungsstränge in die Geschichte basteln, die sich dann irgendwann auch wieder vereinen (sollten), aber es hat mich etwas gestört, dass Vaelin als Hauptperson leicht untergegangen ist. Denn ausser eine Armee bilden und gen Alltro reiten passiert mit/bei ihm nicht besonders viel. Die letzte Schlacht in und um Alltor wird auf den letzten Seiten abgehandelt, während vorher Reva schon extrem lange und blutig "aufgeräumt" hat. Überhaupt finde ich diese Person in diesem Band am stärksten, die eine tolle Entwicklung durchmacht. Sie verwandelt sich von einem hörigen Glaubensmädchen in eine mutige und starke Kämpferin, und die Gefühle kommen auch nicht zu kurz, als sie mit der Freundin ihres Onkels anbandelt (da ist der aber schon tot). Frentis tat mir leid, aber auch er wandelt sich gekonnt von einem Sklaven zu einer Geisel, die niemals aufgibt und letzendlich zu einem Mann, der eine kleine Schar Überlebender in Sicherheit führen will. Dieser Handlungsstrang wurde mittendrin abgeschnitten und wird wohl auch im dritten Teil fortgesetzt. Am wenigsten konnte ich mit Lyrna anfangen. Sie war mir von Anfang an unsympathisch, und das wurde noch schlimmer, als sie erst mal Königin war. Ihre Reise zu den Lonakern war für meine Begriffe irgendwie sinnlos; für einen Friedensvertrag hätte man das nicht so auswalzen müssen. Aber gut. Vielleicht bekommt auch dies im dritten Teil einen tieferen Sinn. Ganz allgemein fand ich das Verhalten von Lyrna immer irgendwie überheblich und arrogant, obwohl sie ständig darauf bedacht war, genau so eben nicht zu sein. Und gerade deshalb hatte ich den Eindruck. Sie kommt nach Alltor zurück, nachdem die Schlacht geschlagen und vorbei ist, und möchte dann gleich mal ihre "neue Armee" besichtigen, wobei sie bedroht wird und eine mysteriöse Person ihr Leben rettet. Danach bricht auch dieser Handlungsstrang ab, um im dritten Teil weiter- und zu Ende geführt zu werden.

Ach ja: im Gegensatz zum ersten Teil kommen nun auch ein paar "tatsächliche" Fantasyelemente vor: ein Aspekt, der Kraft seiner Gedanken Dinge bewegen, ein Mädchen, dass Regen rufen, ein Junge der sich unsichtbar machen kann und ein paar andere Dinge. Das fand ich sehr erfrischend, denn der Hauptteil der Geschichte ist gute, alte und teilweise doch recht brutale Handarbeit. Passt aber zum ganzen Plot.

Alles in allem also ein tolles Lesevergnügen, ein Muss für Fantasyfans, vor allem für solche, die mehr "reale Kampffantasy" mögen, in der es eben nicht von fliegenden Drachen, funkensprühenden Zauberstäben und schwebenden Vampiren wimmelt. Aber wie gesagt: für mich stellenweise ein bisschen zu brutal. Trotzdem werde ich es sicherlich irgendwann noch einmal lesen. Vielleicht - wenn der dritte Teil auf Deutsch auf meinem Schreibtisch liegt - alle drei Bände nochmal hintereinader weg. Dann kommt man vielleicht auch besser mit den ganzen Personen zurecht.

Lesen!