Literarischer Krimi mit Meerwert

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alasca Avatar

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Rund um Ebbe und Flut, Priele, Gats, Strömungen und Sandbänke spinnt Deen einen komplexen Kriminalfall um drei Extremsportler des Watts. Extremsport Wattwandern? Den gibt es, und er kann lebensgefährlich sein. Einer der drei ist bei einer besonders riskanten Wanderung nach Borkum, dem „Mount Everest der Wattwanderer“, umgekommen. Geeske Dobbenga, unterwegs auf ihrer letzten Patrouillenfahrt vor der Berentung, findet die Leiche an der Sandbank De Hond. Sein Begleiter steht unter Schock und ist psychisch labil. War es ein Unfall? Der dritte war zu der Zeit weit weg in England und kann unmöglich etwas damit zu tun haben. Aber es gibt Hinweise auf Verstrickungen in der Vergangenheit… Der Kriminalfall ist gut geplottet und die Auflösung originell. Was diesen Krimi jedoch aus der Masse heraushebt, ist nicht der Kriminalfall.

Es ist die souveräne Sprache und die mit knappem, sicherem Strich gezeichneten Figuren. Der Holländer ist gar keiner – er wird von seinen deutschen Kollegen nur so genannt, weil er auf Texel aufgewachsen ist. Er kennt die Kraft des Schweigens: „Je weniger man sagt, desto mehr erzählt der andere. […] Unbehagen löst die Zunge.“ Mir gefiel auch der lakonische Humor, der immer wieder aufscheint. So gibt es einen Pathologen, der in Shakespeare- oder auch mal Beckett-Zitaten spricht; Dobbengas aufgeblasenen Nachfolger de Wal, der mit Bravour sein neues Patrouillenboot schrottet, eine köstliche Szene; die Journalistin Pauline - diese „war manchmal so originell, dass nicht alle Leser verstanden, was sie meinte“, oder Xaver Rimbach, der seinen ersten Polizeiposten in Bunde zugewiesen bekommen hat und sich zu Tode langweilt: „Das Land, die Sprache, der Humor, alles ist platt in Bunde.“

Die Hauptperson dieses Romans ist indes die Emsmündung und das Watt zwischen Dollart und Borkum. Dort, zwischen den beiden Küsten, liegt die deutsch-niederländische Grenze. Die ist seit dem Vertrag von 1824 strittig und Gegenstand einer Reihe von Nachverträgen, die die Grenzpraxis regeln sollen. Auf der Basis von Vernunft und Augenmaß klappt das im Alltag sehr gut. Bis diese Leiche auftaucht, denn: liegt sie auf der deutschen oder auf der niederländischen Seite? Im Zuge der Ermittlungen wird uns wie nebenbei diese schillernde Landschaft nahegebracht. Denn der Fall ist nicht aufzuklären, wenn man die Gesetze und die Faszination des Watts nicht verstanden hat. Es ist eine Welt, „in der alles anders ist als auf dieser Seite, auf dem Land, wo wir alles unter Kontrolle zu haben glauben. Im Watt ist die Natur die Herrscherin… […] Das Watt relativiert die eigene Existenz, man erlebt sich im Verhältnis zur Ewigkeit. Und das ist überwältigend.“ Erstaunlich, was es rund um die Welt des Watts alles zu wissen gibt. Ich bekam direkt Lust, loszuwandern – natürlich nicht allein, denn wer dieses Buch gelesen hat, wandert künftig nie (wieder) ohne kundigen Wattführer.

Fazit: Ein ungewöhnlicher, literarischer Krimi mit Meerwert.