Make Love, not War!

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Es ist Nachkriegszeit in Deutschland, Sommer 1947 - ein heißer Jahrhundertsommer, der das Elend der Bevölkerung, der es immer noch an allem fehlt, nur noch schlimmer zu machen scheint. Die Besatzungsmächte der Alliierten sind in Bergisch Gladbach dabei, die Entnazifizierung voran zu bringen, während auf einem Gutshof ein brutaler Mord an der überaus attraktiven Hofbesitzerin Ilse Röder verübt wird, der anscheinend nur so vor Wut und Hass trieft. Die Täterin scheint schnell ausfindig gemacht zu sein - Franziska Wagner, ein Mädchen, dass schon oft mit dem Gesetz in Konflikt gekommen zu sein scheint, sie sitzt mit der Tatwaffe neben der entstellten Leiche von Ilse Röder. Da Franziska am Tatort unkooperativ ist, wird die weibliche Polizeiassistentin Friederike Matthée hinzugezogen, um Franziska zu einer Aussage zu bewegen.
Die mutmaßliche Täterin öffnet sich Friederike gegenüber und lässt die Polizeiassistentin am vermeintlichen Tathergang zweifeln, zu schockiert wirkt die angebliche Täterin, die laut Meinung der männlichen Ermittler quasi auf frischer Tat von einem Knecht erwischt wurde. Friederike lässt das Bild des Opfers, das zu Lebzeiten wunderschön gewesen ist, aber auch die Umstände der Tat an sich, nicht los und so fängt sie an, zu hinterfragen, wer diese Ilse Röder gewesen ist und wie sie zu ihrem Ansehen kam - das Opfer galt als nette und verständnisvolle Frau, ohne Tadel, die den Hof im Sinne ihres seit 1944 verschollenen Mannes weitergeführt hat. Während Friederike sich als junge Frau im Polizeidienst immer wieder den Vorgesetzten, Männer wie ältere Frauen, stellen und behaupten muss, um ihre Ermittlungen fortzuführen, versucht sie mit ihrer Mutter in einer Schrebengartensiedlung zu überleben, die Annehmlichkeiten aus ihren Leben vor dem Krieg sind alle fort, genauso wie ihr Vater, der an der Front gefallen ist und ihr Bruder Hans, der als vermisst gilt. Friederike erfährt, das Franziska u.a. in einem Jugendlager gewesen ist, in dem die Insassen bei kleinsten Vergehen gequält und unter Medikamente gesetzt worden sind - trotz allem ist Franziska später durchaus in der Lage, sich um Elli, ein kleines familienloses Mädchen, liebevoll zu kümmern. Was steckt hinter all dem, wie passen Opfer und mutmaßliche Täterin zusammen, die doch offensichtlich in unterschiedlichen Welten gelebt haben? Fast zeitgleich werden die verscharrten Leichen von 3 britischen Piloten gefunden, die Spuren eines regelrechten Gemetzels aufweisen und somit Ermittler Richard Davies auf den Plan rufen, der dafür aus England anreist. Es stellt sich im Laufe der Ermittlungen heraus, das beide Fälle miteinander verstrickt zu sein scheinen und so sehen sich Friederike und Richard wieder, was auf beiden Seiten eine Vielzahl von Gefühlen aufwallen lässt, während von anderer Seite erwartet wird, die 2 Fälle schnellstens zu lösen. Werden sie objektiv genug sein oder stehen sich beide letztlich im Weg, sind die menschlichen Differenzen zu groß?

Der Hunger der Lebenden ist ein Kriminalroman, der anders als andere daherkommt - vieles von dem Gelesenen kennt man selbst durch Erzählungen von Familienmitgliedern oder Zeitzeugen - Kriegsende heißt auch immer, körperlich irgendwie überlebt zu haben, während die seelischen Narben kaum einer sieht. Wie geht es weiter, denn der tägliche Kampf um Nahrung, einer Unterkunft, um Vertrautes geht weiter, spielt sich jetzt zwischen den Trümmern der Städte ab, in denen viel Missgunst und großes Misstrauen herrschen. Aber auch Neubeginn, denn man sehnt sich nach Normalität, versucht diese irgendwie zu leben, egal, wie diese für jeden einzelnen aussehen mag. Ich finde die Hauptprotagonistin gut ausgearbeitet, man findet leicht Zugang zu Friederike und ihrem Umfeld, denn sie ist in dieser schweren Zeit ein junger Mensch mit Ängsten, Sorgen, Zweifeln, aber auch voll von Hoffnung. Sie entwickelt sich in dem Roman stets weiter und überschreitet mehr als einmal eine Grenze, um Antworten auf ihre Fragen zu bekommen, was zu dieser Zeit als Frau nicht einfach gewesen ist - sofort galt man bei den Vorgesetzen als aufsässig oder Querulant und auch in der Gesellschaft waren Frauen zwar diejenigen, die die Last des Krieges trugen (Trümmerfrauen, Witwen und Mütter, die ihre Kinder verloren hatten etc.) sich aber nicht zu beklagen hatten. Auch das Leid von Franziska und Elli, stellvertretend für viele Kinder und Jugendliche während und nach dem Krieg, macht einen betroffen - es ist immer einfacher, Menschen wegzusperren und mit Schlägen und Medikamenten gefügig zu machen, während man die Kleinsten in Heimen verwahrte und ggf züchtigte, bis diese nicht mehr aufmuckten. Richard Davies, ein Mann, der mit sich selbst im Konflikt steht - als Jude in Deutschland geboren und später ohne seine Eltern nach England geflüchtet, kämpft er gegen die Nazis und kehrt als Ermittler nach Deutschland zurück - wie viele dieser Richards mag es wohl wirklich gegeben haben? Der Roman setzt einen in eine Zeit und deren Lebensumstände zurück, die dunkler nicht sein könnte, dennoch zeigt einem die Geschichte auch, dass es irgendwie weitergeht, man die Hoffnung und den eigenen Willen nie aufgeben soll, auch, wenn es manchmal anders kommt, als man denkt.
Auch wenn ich den ersten Teil um Friederike Matthée nicht kenne, bin ich sofort in die Geschichte reingekommen, trotz des "schweren" Themas bzw deren Zeit(en) liest sich die Story sehr angenehm. Für mich eine klare Leseempfehlung!