Der Jahrhundertsturm

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brauchnix Avatar

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„Der Jahrhundertsturm“ von Richard Dübell beginnt im Jahr 1840 und erzählt über 30 Jahre aus dem Leben dreier Hauptdarsteller inmitten der großen gesellschaftlichen Veränderungen in weiten Teilen Europas aber vor allem in Deutschland und Frankreich. Die Franzosen läuten mit ihrer Revolution den Umbruch ein, der wie ein Feuer bald auch auf die Nachbarländer übergreift. Die alten hierarchischen Strukturen werden über den Haufen geworfen, das Volk verlangt nach seinem Recht. Und die Industrialisierung schreitet mit großen Schritten voran und verändert die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen gravierend. Auch die Akteure dieses Roman bekommen das zu spüren und sind ein Spiegel ihrer Zeit.

Zum einen ist da als Vertreter der damaligen Oberschicht Alwin von Briest, der als enterbter zweiter Sohn seinen Weg in der Militärlaufbahn sucht und die preußischen Tugenden vertritt. Zum anderen sein Freund Paul Baermann der aus bürgerlichen Verhältnissen in München kommt, Ingenieur wird und sich seiner großen Leidenschaft, dem Eisenbahnbau, widmet. Zwischen ihnen die Französin, Luise Ferrand, die in Paris mit ihrer Mutter einen harten Kampf gegen Hunger und Verwahrlosung kämpft bevor sie den beiden jungen Männern den Kopf verdreht aber nur einen heiraten kann.
Der Roman schöpft aus dem Vollen. Auf knackigen 1056 Seiten breitet er eine raffiniert mit den geschichtlichen Ereignissen verwobene Geschichte von Liebe und Freundschaft vor dem interessierten Leser aus. Dabei scheut er nicht davor zurück prominente Persönlichkeiten, wie z.B. Otto von Bismarck als wichtige Nebendarsteller in die Handlung mit einzubinden und zum Fortschreiten der Geschichte beitragen zu lassen. Die politische Entwicklung Deutschlands wird sehr gut nacherzählt und ist keine Zeile langweilig oder zuviel. Spannend auch der Ausbau der Eisenbahnstrecke, der mich bisweilen durchaus an den großen Eisenbahnbau in Nordamerika erinnert hat.

Dübell spielt seine Stärken routiniert aus. Er versteht es, mitreißend und mit humorvollem Unterton zu erzählen. Er gibt seinen Darstellern glaubwürdige Charaktere, versäumt es auch nicht, seine Nebendarsteller ausführlich in Szene zu setzen. Man merkt dem Roman die gründliche Recherche an ohne dass das Vermitteln dieses Wissens aufgesetzt wirkt oder anstrengend zu lesen wäre. Er schreckt auch nicht vor den großen Gefühlen zurück, allerdings wohltuend frei von Kitsch.

Das Buch war das reine Lesevergnügen und ich kann nur darum bitten, sich nicht von den über 1000 Seiten schrecken zu lassen. Keine Seite war hier zuviel. Ich bin und bleibe ein Dübell-Fan.