Der Traum vom Fliegen

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pusteblume11 Avatar

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In diesem zweiten Band stehen die Enkelkinder von Alvin von Briest, Louise von Briest und Paul Baermann (Protagonisten aus Band 1 "Der Jahrhundertsturm") im Mittelpunkt. Da ist zum einem Otto, Ältester der Briest-Kinder, ein mittelmäßiger Student der Ingenieurwissenschaften, der lieber Privatdetektiv statt Ingenieur wäre. In Edgar Trönicke, Familienfreund und Privatdetektiv, findet er ein Vorbild. Ottos jüngerer Bruder Levin träumt, seit seinem Treffen mit Lilienthal (ein deutscher Luftfahrtpionier), von nichts anderem als vom Fliegen. Ihre Schwester Amalie, eine eher stille und ernste junge Frau, die nicht so recht weiß, was sie im Leben möchte bis sie Emma von Schley begegnet. Emma, die einen überfürsorglichen Vater hat, träumt davon, die erste Frau zu sein, die mit einem Fallschirm springt. Amalie macht sich zur Aufgabe ihrer Freundin diesen Traum zu erfüllen. Man begleitet diese drei jungen Menschen auf ihren Weg (1891-1909) und erlebt mit ihnen u.a. den technischen Fortschritt in der Luftfahrt.

Auch im „Der Jahrhunderttraum“ verbindet der Autor gekonnt das Leben seiner Protagonisten mit historischen Personen und Ereignissen. Seine fiktiven Charaktere treffen historische Persönlichkeiten wie Ferdinand Zeppelin, Georg Wilhelm Siemens oder Otto Lilienthal, ohne dass es zu konstruiert oder unglaubwürdig wirkt.
Die Luftfahrt und ihre Fortschritte nehmen den größten Teil im Buch ein und man muss mit vielen technischen Details über verschiedene Fluggeräte rechnen. An einigen Stellen war es mir fast ein wenig zu viel. Das liegt aber daran, dass mir das technische Verständnis einfach fehlt und ich mir das Ganze ohne Bilder nicht richtig vorstellen kann.
Auch die Frauenbewegung, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formiert, wird thematisiert, wenn auch nicht so ausführlich wie die Entwicklungen in der Luftfahrt. Ein Zitat verdeutlicht wie wichtig diese Bewegung damals war und nicht nur bezüglich des besseren Zugangs zu Bildung, sondern auch der allgemeinen Stellung der Frau: „Wer sich als Frau in der Nacht auf der Straße blicken ließ, galt per se als Hure. Eine Frau, die mit hocherhobenen Kopf...um sich blickend dahinschritt, statt gesenkten Kopfs geradeaus zu gehen, machte sich auch am helllichten Tag verdächtig. Ging eine Frau zu schnell, hatte sie ein schlechtes Gewissen. Ging sie zu langsam, lud sie damit indirekt Männer ein, sich ihr zu nähern.“(S.223)
Der Autor schreibt sehr detailliert und ausführlich. Er baut viele Kleinigkeiten ein und lässt den Leser so an den verschiedenen Neuerungen der damaligen Zeit teilhaben. Er erwähnt zum Beispiel die erste in Serie produzierte Schreibmaschine (Schreibkugel), weiterentwickelte Fotoapparate, neue Sportarten (Fahrradfahren und Skifahren), erste kinomäßige Vorführungen etc. Langatmig ist die Geschichte dadurch trotzdem nicht. Diese Liebe zum Detail ist eher ein Vorteil, denn so bekommt man ein sehr umfassendes Bild. Seine Ausführungen sind zudem unglaublich lebendig. Man fühlt sich mitten im Geschehen und die über 700 Seiten sind schnell gelesen. Seine Charaktere sind auch gelungenen. Sie sind zwar keine hochkomplexen und einzigartigen Persönlichkeiten, die einem für immer im Gedächtnis bleiben werden, aber sie sind glaubwürdig und menschlich. Der Schluss ist spannend, erinnert aber ein wenig an einen Actionfilm, d.h. an einigen Stellen fand ich das Geschehen etwas übertrieben. Aber das ist wiederum Geschmacksache.

„Der Jahrhunderttraum“ ist eine wirklich gelungene Fortsetzung und ein wunderbarer historischer Roman und bekommt von mir 4,5 Sterne.
Ich bin gespannt, in welchem Zeitraum Dübell den dritten Band ansiedeln wird...ob er den ersten WK überspringt und in den 1920er weitermacht?! Aber egal, wie er es machen wird, ich freue mich darauf!