Ich lehne die Folter ab.

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Alissende hat es nicht immer leicht im Leben. Bereits als Säugling von ihrer Mutter als Wechselbalg im Wald ausgesetzt, von einer Ziehmutter versorgt, kommt sie im Alter von neun Jahren in einen jüdischen Haushalt. Als König Philipp IV., auch der Schöne genannt, 1306 die Juden aus seinem Reich vertrieb, folgt sie aus der Not heraus den Söhnen ihres Herrn. Auf dem Weg von Paris nach Mallorca kommen die drei durch das südfranzösische Dorf Sériol, wo ihnen Rixende und ihre Familie eine Verschnaufpause gönnt. Obendrein scheint sich auch der Schäfer Simon sehr für Alissende zu interessieren. Fast alle Dorfbewohner gehören der Glaubensgruppe der Guten Menschen an. Diese Gruppe der Katharer müssen nur wenig später um ihr Leben fürchten, als sich die Inquisition im nicht allzu fernen Pamiers für sie interessiert. Bischof Durand lehnt zwar nach eigenen Aussagen die Folter ab, zögert aber nicht, die Bergdorfbewohner unter unmenschlichen Bedingungen einzusperren, um sie für ihre Ketzerei zu strafen. Allein diese Eckpunkte versprechen eine spannende Geschichte, in der es um Hoffnung, Glaube und Nächstenliebe geht.

Der dritte historische Roman von Liv Winterberg entführt seine Leser abermals nach Frankreich. Die in zwei Handlungsstränge aufgeteilte Geschichte begeistert durch die akribische Recherche der lange zurückliegenden Zeit. Die seinerzeit herrschende Politik und deren Auswirkungen werden bildhaft durch die christlich erzogene Magd Alissende und das Leben der Katharer, die bis dahin vom Adel unbehelligt ihren Glauben leben konnten. Die grausame Vorgehensweise unter Bischof Durand, der das historisch belegte Vorbild durch Jacques Fournier hatte, bekommt so ein Gesicht. Auch die Brüder Hans und Hugo haben als Juden auf der Flucht stets die Sorge, entdeckt zu werden. Die seinerzeit eingesetzten Spitzel des Papsts konnten überall lauern. Der Erzählstil vermittelt ein Gefühl, als sei man vor Ort dabei, kann aber keinen Angeklagten vor seinem Schicksal bewahren.

Der fiktive Handlungsstrang um Alissende und die übrigen Dorfbewohner bietet den ruhigeren Ausgleich, ohne die Spannung zu mindern. Lebendig werden die eigenständigen Charaktere durch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Alltag und die Lebensgewohnheiten der Bauersfamilie um Rixende und den anderen Dorfbewohnern sorgt für eine entspannte Idylle. Die Autorin schafft außerdem durch die farbenprächtigen Beschreibungen der Landschaft eine detaillierte Kulisse für ihre Protagonisten. Allzu deutlich sieht man das Geschehen in Okzitanien vor Augen und zieht den Leser förmlich an. So leise wie das Schicksal der Menschen erzählt wird, so gewaltig hallt es nach. „Der Klang der Lüge“ ist ein literarischer Ausflug ins Mittelalter und zählt für mich jetzt schon zu einem der Top-Lesehighlights 2014.