Marco Carrera aus Rom, genannt Kolibri

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Der Roman startet mit einer interessanten Szene: Der Psychoanalytiker seiner Frau Marina besucht den Augenarzt Dr. Marco Carrera in seiner Praxis, um ihm – nicht ganz legal – ein Geheimnis über dessen Frau anzuvertrauen. Da wird man direkt neugierig und möchte wissen, was es damit auf sich hat. Meine Neugier war jedoch schnell verflogen. Der Autor hat die Eigenart, nebensächliche Details in epischer Breite auszuschmücken. So gibt es z.B. einen Brief an seinen Bruder über die Auflösung des Haushalts des elterlichen Hauses, wo er über mehrere Seiten das Inventar auflistet. Das hat auf mich beim Lesen eher ermüdend gewirkt.

Das Buch heißt „Der Kolibri“, weil der Protagonist Marco als Kind sehr klein war, und seine Mutter ihn daher so genannt hat. Für sie war die Feingliedrigkeit ihres Sohnes etwas Besonderes. Später wurde auf Initiative des Vaters eine Hormontherapie durchgeführt, so dass Marco dann als Jugendlicher eine normale Größe erreicht hat. Aber der Name Kolibri wird im Buch auch so interpretiert, dass Marco sich quasi nie von der Stelle bewegt. Und ein Kolibri kann ja auch auf einer Stelle in der Luft stehenbleiben.

Allerdings ist sein Leben von einigen Trauerfällen überschattet, die dann auch mehr Veränderungen mit sich bringen, als er es sich erwünscht. Und auch mit seiner Geliebten Luisa läuft nicht alles rund. Diese Entwicklung konnte ich jedoch anhand des Briefwechsels der beiden nicht wirklich durchdringen. Im letzten Drittel dreht sich dann alles um seine Enkeltochter Miraijn, die von ihm als „der neue Mensch“ betitelt wird.

Als roter Faden zieht sich eigentlich das Thema Psychoanalyse durch das Buch, diese wird von Marco als negativ bewertet. Auf der anderen Seite freundet er sich aber mit dem Psychoanalytiker seiner Frau mehr und mehr an, und dieser wird auch ein wichtiger Ratgeber für Marcos Lebenskrisen.

Das Buch ist in der Schreibweise in seinen Kapiteln sehr unterschiedlich, es gibt einige Szenen, die quasi nur aus Dialogen bestehen, andere sind Briefe, teils von Marco an seinen Bruder (die nie beantwortet werden), dann von Marco an seine Geliebte Luisa und zurück. Und es gibt Passagen, wo sich gefühlt ein Satz über mehr als eine Seite erstreckt. Dadurch wird es zwar abwechslungsreich, aber auch etwas unruhig.

Aber besonders anstrengend fand ich das extreme Springen zwischen den Jahren, und zwar von 1960 bis 2030 (!) Die Chronologie muss sich der Leser quasi selbst zusammenstricken. Daher fand ich den Titel Kolibri passend, weil dieser ja auch von Blüte zu Blüte fliegt, so kam ich mir beim Lesen auch vor.

Mich haben diese genannten Punkte insgesamt doch eher genervt. Auch wenn der Autor sicherlich gut schreiben / erzählen kann, so ist bei mir der Funke nicht übergesprungen und es kam keine Lesefreude auf. Mir kommt es auch so vor, als wolle der Autor hier einfach zu viel auf einmal erzählen, mir war es zu überfrachtet, und auch mit dieser Botschaft „der neue Mensch“ konnte ich nicht viel anfangen.