Atmosphärischer Pageturner

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laberladen Avatar

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Darum geht's:

Eddie ist zwölf und mit seiner Clique regelmäßig unterwegs. Doch es gibt nicht nur schöne und spannende Abenteuer, sondern ihm begegnen auch Unglück und Tod. Auch 30 Jahre später, als er denkt, das alles hinter sich gelassen zu haben, bringt eine Zeichnung und die Kreide, die sie als Jugendliche benutzten, um sich gegenseitig Nachrichten zu hinterlassen, die schrecklichen Dinge aus ihrer Jugend wieder hoch.

So fand ich's:

Eddie erzählt uns im Grunde zwei Geschichten. Nämlich die aus der Gegenwart im Jahr 2016, als Menschen und Ereignisse von früher plötzlich wieder wichtig werden. Und die aus seiner Kindheit im Jahr 1986, in der Dinge passierten, die bis heute nicht vergessen sind - allen voran der nie wirklich aufgeklärte Mord an einem Mädchen. Diese beiden Handlungssträge vermischen sich laufend und sehr passend, so dass man nie das Gefühl bekommt, zwei verschiedene Erzählungen zu lesen, sondern eine einzige. Ich bin kein Freund von Zeitsprüngen, aber in "Der Kreidemann" ist die Verknüpfung und Verbindung so gut gelungen, dass mir diese Erzählweise wirklich Spaß gemacht hat.

Der Protagonist Eddie ist ein merkwürdiger Kauz, der aber durchaus auch vernünftig und sympathisch rüberkommt. Seine Kindheitsclique scheint auf den ersten Blick eine typische Kindergruppe zu sein, doch je länger wir uns mit ihnen beschäftigen, desto mehr schauen wir hinter die Kulissen der Clique und auch der anderen Bewohner einer englischen Kleinstadt. Hinter der gutbürgerlichen Fassade verbirgt sich eine Menge Drama, dumme Zufälle, sture Verbohrtheit, gut gehütete Geheimnisse und so einige schicksalhafte Verwicklungen, die erst im Laufe der Zeit aufgedeckt werden. Die Figuren kommen einem sehr nah und ich mochte den skurrilen Eddie von Anfang an, auch als etwa verschrobenen Erwachsenen. Selbst die Nebenfiguren können überzeugen und man hat das Gefühl, mitten unter ihnen zu leben.

Diese Mischung aus gewöhlichem Kleinstadtleben und schlimmen Dramen, die sich unter der Oberfläche abspielen, greifbaren und lebensnahen Figuren, einer atmosphärischen Erzählweise, die einen packt und mitten in die Geschichte hineinzieht, hat mich von Anfang an begeistert und mich bis zum Ende nicht mehr losgelassen. Wenn man meint, die Geschichte so langsam durchschaut zu haben, kommt die nächste Überraschung um die Ecke, die einem den Mund offen stehen lässt. "Der Kreidemann" entwickelt einen wunderbaren Lesesog. Aus vielen tollen Komponenten zusammengesetzt, ergibt es ein rundes und sehr lesenswertes Buch, das ich mehr oder weniger in einem Rutsch verschlungen habe.