Nur bedingt ein Thriller

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singstar72 Avatar

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Ich habe das Buch gerne gelesen – diese Bemerkung vorab. Dennoch gebe ich nur vier Sterne, und bezeichne es – für mich – auch nicht als „Thriller“. Das zu begründen, dafür muss ich ein wenig ausholen.

Aufmerksam geworden war ich auf das Buch, weil es (so wohl die bewusste Absicht des Verlags) von Stephen King höchstselbst beworben wurde. Und einem Vergleich mit dem Großmeister hintergründiger Spannung konnte ich einfach nicht widerstehen. Dazu kam die Leseprobe: in der Tat wies das Buch einige Parallelen zu Kings Klassiker „ES“ auf.

Ja, diese Parallelen gibt es. Es geht um eine Clique von Jugendlichen in den 80er Jahren, in einem heißen Sommer in einer Kleinstadt, eine Gruppe von „Verlierern“. Deren Geschichte setzt sich in der Gegenwart fort, und wird von einem der damaligen Mitglieder erzählt. In diesem Fall ist das Eddie, der mittlerweile Lehrer geworden ist, und übrigens ein ziemlicher Trinker. Einsam, mit einer Untermieterin, deren Freundschaft er erhofft, aber nie ganz bekommt.

Die Parallelen gehen weiter. Alles wird angestoßen durch den Besuch von „Metal Mickey“. Dieser sucht Eddie auf, und will die Vergangenheit wieder aufwühlen. Zeitgleich bekommen alle damaligen Mitglieder der Gang seltsame Briefe mit Kreidemännchen… und so fängt Eddie an zu erzählen und sich zu erinnern.

Die Erzählung in der ersten Person (Eddie) springt beständig zwischen 1986 und 2016. Er erinnert sich, wie die Truppe zueinander fand, und was damals eigentlich passierte (ein seltsamer Lehrer, ein schwerer Unfall auf einer Kirmes, später ein Mordopfer). Er folgt den Lebenslinien seiner damaligen Kumpel, und reflektiert – ansatzweise – sein eigenes Leben. Bis er, im letzten Viertel des Buches, eher zufällig über die Lösung stolpert.

Und insofern ist es eben für mich kein Thriller. Es kommt nur sehr selten Blut vor, und es geht auch nicht ständig um den damals begangenen Mord. Es geht um das Vergehen der Kindheit, um Zusammenhalt, Verfolgung, Ausgrenzung, und die Bigotterie einer Kleinstadt. Um die Tyrannei durch ältere Jugendliche, um Erwachsene, die Kinder missverstehen. Um Gewalt und Ausflüchte. Es geht einfach darum, dass Eddie das Panorama einer Kindheit in einer amerikanischen Kleinstadt heraufbeschwört. Der „Thriller“-Anteil, die Spannung, ist dabei eher ein Nebenprodukt. Fast unwichtig zu erwähnen, dass die Kreidemännchen nur ein Aufhänger sind, und letztlich mit der Lösung fast nichts zu tun haben. Das hat mich persönlich schon ein wenig gewurmt…!

Ja, und Eddie selbst… die Erzählstimme war detailreich und überzeugend. Aber, ich kann mir nicht helfen, man merkt doch, dass die Autorin weiblich ist. Für mich hat sie es nicht ganz geschafft, eine überzeugende männliche (!) Stimmer zu erschaffen. So manches Mal dachte ich, na, das hätte ein Mann nicht so gesagt.

Letztlich spreche ich eine bedingte Lese-Empfehlung aus. Für Leser, die einen prallen Kindheitsroman wollen. Aber eher nicht für hartgesottene Thrillerfans.