Überraschend gut, Faber!

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singstar72 Avatar

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Leicht einzuordnen ist dieses Buch nicht. Der Verlag beschreibt es als "Literatur", ich würde es irgendwo zwischen "Autobiographie" und "Zeitgeschichte" einordnen. Ganz waschecht passt es allerdings in keine dieser Schubladen. Für eine echte Autobiographie ist es nicht chronologisch genug, und zu sprunghaft. Zeitgeschichte hingegen taucht nur in den letzten Abschnitten auf, in der Form eines Hintergrundes - Corona, und der Ausbruch des Ukraine-Krieges. Trotzdem ist es sehr lesenswert - Mensch, Faber, das hätte ich Dir gar nicht zugetraut.

Was mir vor allem gefallen hat, war die Tatsache, dass ich hier den Ton und die Ausdrucksweise wiederfinde, die mir auch in der Figur des "Faber" begegnen. Jörg Hartmann hat einen direkten und schnoddrigen Ton; besonders die Passagen aus dem Ruhrpott lassen starke Schmunzeleffekte aufkommen. Dennoch ist er nicht ohne Tiefgang. Immer wieder gibt es Abschnitte, wo er über die Welt nachdenkt. Am besten gelungen ist das m. E. in den Kapiteln über die Demenz seines Vaters. Und dort, wo er über Heimat sinniert. Alle Achtung, hier sehe ich Parallelen zu den literarischen Qualitäten eines Arno Geiger ("Der alte König in seinem Exil").

In letzter Zeit sind Bücher von Schauspielern relativ in Mode gekommen. Unerreicht ist sicherlich Edgar Selge mit "Hast du uns endlich gefunden". Hier reicht Jörg Hartmann nicht ganz heran, bewegt sich aber auf einem Level, das über dem reiner Unterhaltung liegt.

Was kann man kritisieren? Mancher Leser wird Lücken in der Darstellung finden. Zum Beispiel sieht sich Jörg Hartmann in erster Linie als Theater-Schauspieler; als solcher ist er aber in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Er schildert in erster Linie seine Zeit beim Theater, die jedoch vor seinem Bekanntwerden liegt. Zweitens manövriert er im Text um wirklich private Details gekonnt herum. So erfährt man schon relativ früh, dass seine ältere Tochter beinahe kurz nach der Geburt gestorben wäre. Aber woran? Das kommt erst relativ zum Schluss, auch noch in einem Nebensatz. Und auch seine private Situation bleibt größtenteils im Dunkeln. Seine erste Tochter hatte er mit einer anderen Frau; mitten im Text wechselt der Name der Partnerin. Keinerlei Information dazu, wie dieser Wechsel sich vollzogen hat. Und auch zu seiner Karriere bei Film und Fernsehen hätte man sich mehr Informationen erwünscht.

Auf der Haben-Seite steht wiederum die Fähigkeit des Autors, Humor und wirkungsvolle Nebencharaktere einzubinden. Unvergessen bleiben wird wohl Winfried, der Statist aus der Klinik! Einen wahren Lachkrampf habe ich bekommen, als er schilderte, wie er bei Proben den Verzehr eines simplen Mettbrötchens sinnlich darstellen sollte...!

Insgesamt bin ich überaus positiv überrascht von diesem Buch. Es weiß wunderbar zu unterhalten, hat nur hier und da leichte Lücken.