Viel Lärm um nichts

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Unser Abiturjahrgang hatte ein Theaterabo: Vier oder fünf Vorstellungen im Schuljahr für ganz wenig Geld über drei Schuljahre. Von Klassik über Zeitgenössisches war alles dabei in den wildesten Inszenierungen. Ich kann mich an nackte Menschen auf der Bühne erinnern, an ein Schillerstück auf Rollschuhen und an eine verstörende Inszenierung von Clockwork Orange, bei dem das Highlight war, dass unser Geschichtslehrer die Vorstellung noch vor der Pause verlassen hat. Ein Theaterfan bin ich nicht geworden. Ich habe mir ein zu großes Beispiel an Brecht genommen und bin mir meiner Distanz als Zuschauer zu stark bewusst. Gefühlsmäßig erreicht mich Theater nicht. Vielleicht hätte ich mal in die Schaubühne gemusst, wer weiß. Jörg Hartmann hat als junger Schauspieler einiges in Angriff genommen, um ins Ensemble der Schaubühne zu kommen. Und vor allem nach Berlin, denn alle Kreativen wollten in den 90er Jahren nach Berlin. Die neue alte Hauptstadt war damals angesagter als New York, Paris und London zusammen. Hartmann geht es in seinem Buch aber nicht vorrangig um Berlin. Es geht ihm um sich selbst, um seine Familie, seine Eltern, seine Kinder, seine Herkunft, seinen eigenen Weg. Ein großer Teil seines Lebens wird natürlich durch den Beruf bestimmt und als Schauspieler ist man entweder viel unterwegs oder man wartet auf Dreh- und Spielzeiten, beides kann sich unharmonisch auf das Familienleben auswirken. Das ist grob zusammengefasst und ein bisschen polemisch formuliert, denn ich bin mit Hartmanns Erzählstil nicht warm geworden. Es ist ein bisschen so wie mit dem Theater, ich sehe, wo es hingehen soll, aber Bühnenbild und Kostüme lenken mich zu sehr ab, als dass ich mit der Handlung voll mitgehe. Die Distanz verschwindet nicht, sie verstärkt sich im Leseverlauf und dazu gesellt sich die Frage nach der Relevanz. Hartmann ist zu sehr auf sich selbst bezogen, verliebt in sein eigenes Erzählen. Er verpasst es irgendwie, mich als Leser mit ins Boot zu holen. Der Wechsel zwischen beruflichen Anekdoten und Familiengeschichte funktioniert nicht richtig, wenn es beginnt wirklich interessant zu werden, weil tiefgründig, dann bricht er plötzlich ab und assoziiert sich in ein anderes Thema. Dabei ist wirklich viel Interessantes dabei: Sein an Demenz erkrankter Vater, vor der Krankheit ein Tausendsassa mit Bühnenqualität und Handballleidenschaft. Die gehörlosen Großeltern, die unter den Nationalsozialisten unter der permanenten Gefahr lebten, als nicht vollwertige Mitglieder der völkischen Gemeinschaft eingestuft zu werden. Mit gefährlichen Konsequenzen auch für die vier Söhne. Hartmanns Kindheit und Jugend in Herdecke, ein Ruhrpottjung durch und durch, der dann doch der Heimat den Rücken kehrt für die Schauspielerei und sich in den Wendejahren für ein Engagement in der Ostprovinz entscheidet und kurz vor der Jahrtausendwende endlich nach Berlin an die Schaubühne kommt. Doch er kratzt bei allem nur an der Oberfläche und lärmt ein wenig vor sich hin, den spannenden und wirklich wichtigen Fragen weicht er aus und verschenkt sich so in meinen Augen die Aufmerksamkeit seiner Leser.