Auch die Großen leben kleine Leben

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Gustav Mahler tritt seine letzte Reise an: An Bord eines Schiffes überquert er ein letztes Mal den Atlantik gen Amerika und erinnert sich an sein Leben - an das Schöne und an das Bedauernswerte gleichermaßen. Obwohl er innerlich noch glüht wie ein junger Mann, macht ihm sein Körper das Leben schwer. Er weiß, sein Weg neigt sich dem Ende zu.

Robert Seethaler ist der Erzähler kleiner Leben. Er hat ein unglaubliches Talent dafür, aus dem Unscheinbaren das Große herauszubilden. In gewisser Weise tut er das auch in seinem neuesten Roman, nur in einer Art Umkehrung. Gustav Mahler ist einer der ganz Großen, der berühmteste Deutsche Komponist und Dirigent seiner Zeit, und doch ist sein Leben nicht größer als das der 'Normalsterblichen'.

Sein Leben besteht aus Rückschlägen und Enttäuschungen, aber auch aus purer Schönheit und Wundern. Seethaler schafft es, auf sehr wenigen Seiten ein ganzes Leben abzubilden, die wichtigsten emotionalen Stationen einzufangen, und das Ganze auch noch in das Narrativ einer Schiffsreise einzubetten. Mahler ist mit etwas über 50 Jahren schon ein gebrochener Mann, Zeit seines Lebens war er krank und schwach, und jetzt ist klar, dass er nicht mehr lange leben wird. Die Gebrechen des kranken Mannes, der sich kaum aufrecht halten kann, stehen in starkem Kontrast zu den bewegten Erinnerungen, die er mit uns teilt.

Erfreulich fand ich, dass Mahlers Frau Alma nicht im Mittelpunkt der Geschichte stand, dass sie nicht Dreh- und Angelpunkt all seiner Überlegungen war, denn sie ist ja durchaus eine vielbeachtete und umstrittene Gestalt aus dieser Zeit. Sie ist einfach da, an seiner Seite, auch wenn sie ihn immer wieder verletzt und hintergeht (klar, Mahler war sicher auch kein Unschuldslamm und bestimmt nicht der aufmerksamste Ehemann!). Dennoch, Mahler ist nicht verbittert, über solche niedrigen Gefühle ist er in den letzten Momenten seines Lebens erhaben. Er denkt zwar mit einigem Bedauern an die viele Zeit, die er mit Organisationskram an der Wiener Oper verbracht hat statt zu komponieren, Musik zu machen, doch er gerät darüber nicht in Wut. Es ist wirklich ein Resümee, das Seethaler hier vorlegt, keine Abrechnung.

Und dennoch fehlte mir etwas - vielleicht ein paar Seiten mehr. Ich hätte gerne noch weitergelesen, wäre gerne noch weiter in Seethalers herrlichen Sprachduktus eingetaucht, hätte manches noch näher beleuchtet gesehen. Aber klar, es ist keine Mahler-Biografie, sondern ein emotionaler Erinnerungsgang, der vielleicht eben durch wenige Worte und Seiten wirken muss. Ich denke, ich werde das nochmal lesen, dann geht es mir vielleicht mehr unter die Haut. Auf jeden Fall aber eine Leseempfehlung für das neue Werk dieses begnadeten Autors!