Gustav Mahlers letzte Reise....

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Ein alter, schwerstkranker Mann ist auf der Fahrt mit dem Dampfer "Amerika" zurück nach Europa: Es handelt sich um Gustav Mahler, Musiker, Komponist und weltberühmter Dirigent (1860 - 1911), in seinem letzten Lebensjahr also begegnen wir nicht nur dem Musiker, sondern auch dem Menschen Mahler in einer biografischen Skizze (das Büchlein umfasst 126 Seiten), die doch viel mehr als eine skizzierte Persönlichkeit ist: Robert Seethaler (*1966 in Wien) hat mit den Gedanken Mahlers in seinem neuen Buch "Der letzte Satz" (erschienenen bei Hanser, HC, gebunden, 2020) dem Leser eine Möglichkeit gegeben, in dessen (etwas kapriziöse) Persönlichkeit einzutauchen - und auch seine Musik kennenzulernen, so dies noch nicht geschehen ist:

Gut umsorgt wird Mahler von einem Schiffsjungen, der ebenfalls eine wichtige Figur im Roman darstellt und in den Dialogen viel Tiefgang zu finden ist: Er sollte auch am Ende des Buches eine Rolle spielen...

Mahler sinnt auf dem Sonnendeck (er fröstelt ständig, fiebert, war bereits krank, als er sein letztes Konzert in New York gab)über die Momente der Schönheit - und auch des Bedauerns in seinem Leben, an denen er den Leser teilhaben lässt: Da sind in jeweiligen Rückblicken sein Werdegang, die Hochzeit mit Alma, der damals schönsten Frau in Wien, die jedoch sehr viel jünger ist als er; die beiden Töchter Anna und Maria, der Tod Marias, über den er nie hinwegkam und seine Arbeit: Er liebt Vögel und kennt alle mit Namen, wenn nicht, gibt er ihnen eine - dieser Passus gefiel mir sehr und lässt auch die große Fantasie Mahlers, die auch in seinen Werken steckt, offenkundig werden. Er liebt die Musik, er liebt seine Arbeit, seine "Komponierhäuschen", in denen er in völliger Stille und Abgeschiedenheit komponieren kann; seine Frau und seine Töchter. Alma ist ihm ein Anker in seinem Leben und als es zur Ehekrise kommt, steht für Gustav Mahler die härteste Zeit an: Als Kind hat er einige Geschwister früh verloren; besonders der Tod seines etwas ältereren Bruders mit nur 15 Jahren ließ ihn früh spüren, wie schmerzhaft ein derartiger Verlust ist. Zeitlebens nicht gesund, hat er sich von seiner Krankheit niemals besiegen lassen; es erscheint eher, dass er in allem hart zu sich selbst war - aber auch ein Perfektionist, was die Auswahl der Chormitglieder betraf. Er staunt, als er seine Zeit als Hofdirektor der Wiener Oper nochmals auferstehen lässt:

"Man schlägt einen Ton an, und der schwingt dann weiter im Raum. Und trägt doch schon das Ende in sich". (Zitat S. 33)

Mahler liebte die Abgeschiedenheit, die Stille, die ihm Raum für seine Arbeit gab; Großstädte wie z.B. "das überzuckerte Paris" waren ihm zuwider: Wenn man bedenkt, welch feines Gehör er haben musste, kann man dies sehr gut verstehen. Fasziniert hat mich auch seine Liebe zu seinem Pult, hinter dem er sich "sicher und geborgen" fühlte:

"Es steckten die Wut und die Freude eines ganzen Lebens in ihm".
(Zitat S. 60)

Der etwas melancholische Grundton des Romans, dessen Sätze so glasklar wie aufsteigende Sektperlen an die Oberfläche dringen, passt sehr gut zum Befinden Mahlers und stilistisch schnörkellos, jedoch sehr atmosphärisch, gelingt es Seethaler, sich ein Bild von Gustav Mahler zu machen, das vielschichtiger und tiefsinniger ist als der Romantext. Auch stellt er Positives, die Freude, die Mahler in Gedanken hat, wenn er an seine Arbeit denkt. dar (auch an Bord schreibt er noch 3 Stunden an einem neuen Werk), die ihm jedoch, wie er jetzt, am Lebensende angekommen, alles abverlangte. Ob er sich selbst zeitlebens zuviel abverlangt hat? Er verließ sich stets auf sein Gehör - und seinen Fleiß; die körperlichen Schmerzen suchte er oft, zu ignorieren.

In so manchen Sätzen ist man als Leser sehr berührt über die Lebendigkeit, das Aufseufzen, den Lebenswillen des schwerkranken Dirigenten, der das nahende Ende fühlt. Auch eine gewisse Demut vor dem Leben ist durchaus spürbar, die sich in Mahlers Emotionen äußert. So wünscht er sich, einmal "fliegende Fische" zu sehen - und verpasst dieses Erlebnis am Ende nur knapp. (So schön es übrigens aussieht, so tragisch ist dies auch, wer sich mit diesem Phänomen beschäftigen möge, wird wissen, was ich meine). In gewisser Weise personifizieren die Fische für mich hier ein Ende - und auch einen Aufbruch.

Auch die letzten Seiten deuten mit den Gedanken des früheren Schiffsjungen, der von Gustav Mahlers Tod erfährt, darauf hin: Alles beginnt. Und alles endet.

Ein berührender, stellenweise ergreifender Roman, den ich sehr gerne gelesen habe. Robert Seethaler ist es auf wenigen Seiten gelungen, "tief eintauchen zu können" in eine starke Persönlichkeit, die die Opernwelt als Reformer bis heute prägt und dem Leser für eigene Gedanken viel Raum zu lassen.