Mahlers letzte Reise

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Robert Seethaler gehörte nach „Der Trafikant“ und ein „Ganzes Leben“ zu jenen Autoren auf deren neue Romane ich immer schon warte. Sein letztes Buch „Das Feld“ hatte mich dann ziemlich enttäuscht, umso gespannter war ich auf seinen aktuellen Roman. Das Thema (Mahler auf seiner letzten Reise) fand ich sehr spannend, historische Persönlichkeiten in Romanfiguren zu verwandeln, war ihm ja schon beim Trafikant (da ist es Sigmund Freud) hervorragend gelungen. Überzeugt hat mich dann auch die Leseprobe, das war wieder der großartige Erzähler Seethaler, den ich so gerne lese. Sätze wie: „Man schlägt einen Ton an, und der schwingt dann weiter im Raum. Und trägt auch schon das Ende in sich.“ (S. 33) klingen wie Gedichte oder Musik. Einfach ein Genuss.
Gustav Mahler befindet sich auf seiner letzten Reise nach New York. Der berühmte Komponist, Dirigent und Opernerneuerer ist noch nicht alt, aber sein Körper ist am Ende, geschwächt von seinen Krankheiten, enttäuscht von seiner Ehe, verletzt, weil ihn Alma betrogen hat, sitzt er auf Deck, sieht auf das Meer, unterhält sich mit dem Schiffsjungen und hängt seinen Erinnerungen nach.
Es war ein bewegtes Leben, beruflich voller Erfolge. In Wien erneuerte er die Hofoper, machte sie zur führenden Oper der Welt. Über die Wiener legt Seethaler Mahler folgende Worte in den Mund: „Die Wiener waren ein im Grunde heißblütiger Menschenschlag; unter dem Speckmantel der Gemütlichkeit brodelten gleichermaßen Begeisterung wie Empörung und liefen beständig Gefahr, aus nichtigem Anlass überzukochen.“ S. 33 Ein treffender Kommentar. Mahler war der bedeutendste Dirigent seiner Zeit, in jungen Jahren wurde er noch für sein unruhiges Dirigat kritisiert, später lenkte er die Orchester mit kleinsten Bewegungen. Und auch als Komponist wurde er gefeiert und geliebt.
Privat war sein Leben gekennzeichnet von Schicksalsschlägen, viele seiner Geschwister starben jung, er selber litt sein ganzes Leben lang unter einer schwachen Gesundheit, eine seiner Töchter starb als Kind und die Ehe mit der um vieles jüngeren Alma war nicht lange glücklich, zu unterschiedlich war, was sie vom Leben wollten.
Über all das denkt der fiebergeschwächte Mahler an Deck nach. Wunderbar literarisch und poetisch in Wort gefasst von dem Erzähler Robert Seethaler.
Ich habe dieses Buch von der ersten Zeile an genossen, man überlässt sich dem Sprachfluss und taucht ein in die Gedanken und Erinnerungen des großen Komponisten. Ein Roman nicht nur für Mahler- und Musikfans, sondern für alle, die literarische Erzählkunst lieben. Ein wunderbares Buch!