Melancholie & Mahler

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throughmistymarches Avatar

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„Das Meer lebt, dachte er. Man muss nur lang genug stillstehen, um es atmen zu fühlen.“
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Ich bin ein großer Fan von Robert Seethaler, „Der Trafikant“ & „Ein ganzes Leben“ zählen zu meinen absoluten Lieblingsbüchern. Auf seinem neuen Roman freute ich mich, war aber auch ein bisschen skeptisch, denn zu sagen, dass ich mich für Gustav Mahler interessiere, wäre gelogen. Ich weiß wer er ist & kann seinen Stücken entnehmen, dass ihm die Melancholie, die Seethaler in seinen Texten transportiert, nicht fremd war. Nachdem ich „Der letzte Satz“ gelesen habe, muss ich sagen: ich bin immer noch skeptisch. Ich bin hin- & hergerissen. Beim Trafikanten zBsp. stört es mich nicht, dass mit Sigmund Freud eine reale Person zur Figur eines fiktiven Romans wird, da er nicht Zentrum der Fiktion ist sondern eher dem Protagonistin in seiner Funktion als Psychoanalytiker zur Seite steht. In „Der letzte Satz“ aber wird eben Mahler zum Protagonisten (Freud übrigens hat auch einen Gastauftritt) & das funktioniert für mich nicht immer. Die Sprache Seethalers passt wunderbar, um auf ein Leben zurückzublicken, die schönen & die traumatisierenden Momente Revue passieren zu lassen & zu reflektieren, melancholisch & atmosphärisch. Aber manche Dialoge wirken – obwohl ich die realen Biografien nicht kenne – leicht gekünstelt. Nicht die Unterhaltungen mit dem Schiffsjungen, dafür aber die Gespräche mit seiner Frau Alma. Im Feuilleton & bei den Mahler-Fans kommt der Roman scheinbar weniger gut an; es wird kritisiert, dass Seethaler versuche den Menschen & nicht das Genie zu portraitieren. Ich bin absolut dafür, den Menschen hinter dem musikalischen Ausnahmetalent zu zeigen, glaube aber, mir hätte es besser gefallen, wenn er sich von Mahler sozusagen „anonym“ hätte inspirieren lassen; seinen Protagonisten namenlos gelassen hätte. Und/oder dem Jungen, der für mich die interessanteste Figur war, mehr Platz eingeräumt hätte. Dennoch ein 3,5 Sterne-Buch für mich. Vielen Dank Vorablesen für das Exemplar!