Eine Hommage an das Rom der 70er-Jahre

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
missmarie Avatar

Von

Wer "Der letzte Sommer in der Stadt" liest und die ewige Stadt schon einmal gesehen hat, wird sich bald im Kopf durch die Straßen Roms flanieren sehen. Gemeinsam mit dem Protagonisten Leo trinkt man einen Caffé in einer der Frühstücksbars an der Piazza Navona oder nimmt abends Wein oder in Leos Fall eher ein Bier in der Nähe der spanischen Treppe zu sich. Obwohl das Buch 1973 geschrieben wurde, ist das Rom-Gefühl bis heute zwischen den Seiten spürbar und Gianfrano Calligarich gelingt es auf wunderbare Weise, den Leser selbst ein gutes Jahr in Rom leben zu lassen. Dieser kleine Italienurlaub im Kopf hat mir sehr gefallen.

Doch das Gefühl der dolce Vita steht im krassen Gegensatz zur eigentlichen Handlung. Denn Leo ist eine traurige, eine gescheiterte einsame Figur. Obwohl die Stadt um ihn herum blüht und voller Verheißungen zu sein scheint, schafft er nicht, Fuß zu fassen. Er lebt mal im Hotel, mal in der Wohnung von Freunden und ist ständig pleite. Dass er mit seiner Situation eher sorglos bis verantwortungslos umgeht, hat mich das ein oder andere Mal fast wahnsinnig gemacht, so sehr habe ich mich über Leos Verhalten geärgert. Leider lag das auch an den Geschlechterbildern, die hier vermittelt werden.

Oft erkennt man dann doch, dass es sich bei "Der letzte Sommer in der Stadt" um eine Wiederentdeckung aus den 70er-Jahren handelt. Eine Zeit, in der Männer die Frauen vor allem auf ihr Aussehen reduzieren und die Frauen von ihren Männern ausgehalten werden wollen. Sie sind launisch, undurchschaubar und hangeln sich von einer Abendgesellschaft zur nächsten. Das mag in die Zeit passen, war für mich aber gewöhnungsbedürftig.

An diese Distanz lag es vermutlich auch, dass ich mit der Liebesgeschichte, die der Roman auch erzählt, nicht warm geworden bin. Sie wurde mir zu oberflächlich, zu wenig auf der emotionalen Ebene erzählt. Dabei wäre hier deutlich mehr drin gewesen.

Versöhnt haben mich schließlich Calligarichs poetische Sprache und seine feinen Beobachtungen. Nicht nur die Sätze über Rom, sondern auch die Passagen über das Lesen sind absolut lesenswert. Und so kann ich verstehen, dass der Roman zumindest in Italien immer wieder neu aufgelegt wurde und als Geheimtipp für Leserunde gilt.

Mein Fazit: Ein Roman, den man wegen des Lebensgefühl und für einen kurzen Italienurlaub im Lesesessel lesen sollt. Die Handlung tritt dahinter leider deutlich zurück.