Ganz großartig

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gkw Avatar

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Anfang der 70er Jahre kommt Leo Gazzarra nach Rom und die Stadt ist wie eine Offenbarung für ihn. Freunde überlassen ihm ihre Wohnung, er kauft einen gebrauchten Alfa Romeo und bekommt einen Aushilfsjob bei einer Zeitung. Er lässt sich treiben: hängt rum, ziellos zieht er durch die Bars, trinkt viel, trifft Freunde, verliert Jobs und bekommt wieder neue. Dann trifft er auf Arianna, deren Leben auch nicht geradliniger oder zielgerichteter verläuft als seines. Wie Magneten ziehen sie sich an und stoßen sich wieder ab.
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Mit bildstarker Sprache in wunderbaren Sätzen erzählt Calligarich leicht und warm und sommerlich vom lässigen Flair der 70er Jahre in Rom und von einem ziellosen jungen Mann, der es nicht schafft oder nicht bereit ist, am Leben richtig teilzunehmen.
Leo lässt sich treiben, er hat keinerlei Ehrgeiz - weder im Beruf noch in der Liebe - , er versucht nur unzulänglich, sein Leben selbst zu gestalten. Er ist immer unterwegs und kommt nirgends an.
Und auch Arianna ist ähnlich. Sie treibt durch ihr Leben, es ist nicht erkennbar, wohin sie will.
Ihre Lebenswege treffen aufeinander, dann entfernen sie sich wieder, dann treffen sie sich wieder, ...
Beide sind ohne Ziel und irgendwie verloren. Ihre Beziehung ist so leicht und melancholisch wie auch Calligarichs Schreibstil.
Dieser ist mal poetisch und bildhaft, mal aber auch lakonisch und distanziert - passend zu Leos Leben. Alles ist großartig beobachtet und beschrieben.
Das Buch ist einerseits eine Hommage an Rom und die 70er Jahre, andererseits entzaubert es auch gleichzeitig. Wir sehen die Folgen des dekadenten Lebensstils: die Verzweiflung, die Einsamkeit, den Hunger nach Leben und Liebe und die Unfähigkeit oder Unmöglichkeit, dies zu erreichen.
In der Person des Leo lassen sich Parallelen zum Leben des Autors finden: Auch er kam einst von Mailand nach Rom und arbeitete da als Journalist.
Das Buch erschien 1973 in kleiner Auflage, wurde zum Kultbuch und Geheimtipp, aber da es nur 17.000 Exemplare gab, konnte man es nur schwer bekommen. 2010 gab es eine Neuauflage, diese war schnell vergriffen und dann auch wieder schnell vergessen. 2016 wurde es dann zum dritten Mal neu aufgelegt und diese dritte Ausgabe ist auf dem Buchmarkt eingeschlagen: Die Rechte wurden in 20 Länder verkauft, das hat uns nun eine deutsche Ausgabe beschert.
Das Buch ist nun also fast 50 Jahre alt. Da fragt man sich natürlich: Wie kommt es, dass es jetzt entdeckt wurde? Was immer der Grund war: gut so.
Ein Buch für alle, die sich nach Sommer, Rom und den 70er Jahren sehnen und ein Buch für alle, die eine wunderbar erzählte Geschichte eines Menschen lesen möchten, der die eigenen Ziele und Wünsche nicht erkennen und umsetzen kann.