Melancholie der Rastlosen

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amara5 Avatar

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Gianfranco Calligarichs atmosphärischer Roman „Der letzte Sommer in der Stadt“ erschien schon 1973, war recht erfolgreich und verschwand dann plötzlich aus dem Buchhandel. Doch schnell avancierte das Buch zum Kult und erscheint nun glücklicherweise erstmals auf Deutsch.

Ich-Erzähler und Protagonist des Romans ist Leo Gazzarra: Im Rom der 1970er-Jahre verkehrt der junge Journalist in der Bohème der italienischen Hauptstadt – es wird gefeiert, geraucht, getrunken, diskutiert oder am Piazza Navona getroffen. Doch bei aller Lust an der Kultur und am Feiern, durchzieht eine leise Melancholie und Selbstzerstörung den Roman, denn Leo wird bald arbeitslos und zieht ziellos im Dunst des Alkohols zwischen Hotels, Bars und den Wohnungen seiner intellektuellen Freunde umher. Als er die fragile und verführerische Arianna kennenlernt, beginnt eine stürmische Liebe zwischen zwei Rastlosen, die nicht wirklich lieben können und sich gegenseitig verletzen. Mit Leos maroden Alfa Romeo fahren sie durch die Nacht nach Ostia ans Meer und philosophieren über Literatur und das Leben. Die Ewige Stadt ist im heißen August wie leergefegt, ein Gefühl der Verlorenheit, des Unwohlseins und der Dekadenz macht sich breit – auf den Straßen und in den Seelen der Protagonisten, denen kein glückliches Ende zu drohen scheint.

Calligarich sind sehr szenische, elegante und metaphorische Beschreibungen der Ewigen Stadt gelungen, in denen sich emotional auch die ambivalenten Gefühle der Charaktere spiegeln. „Wie ein wildes Raubtier“ scheint sie die Menschen teilweise zu verschlingen und ihnen doch eine große Lebensqualität zu liefern. Orte und Szenen der Stadt sind so präzise bildhaft und poetisch hervorgehoben, als stehe man direkt daneben – eine gelungene Hommage, die auch die Schattenseiten hervorzuheben weiß. Ein kleiner Schwachpunkt des Romans ist die Tiefenschärfe der Charaktere und ihre psychologische Entwicklung, die etwas oberflächlich komponiert ist. Und trotzdem folgt man dem selbstbezogen und somnambul wirkenden Gazzarra leichtfüßig und soghaft durch Rom, die unglückliche Liebe und durch seine unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Eine erfreuliche Wiederentdeckung und zeitlos in ihrer feinsinnigen Erzählversiertheit, obwohl der Roman schon vor 50 Jahren geschrieben wurde.

„ … denn Rom birgt einen besonderen Rausch in sich, der die Erinnerungen verbrennt. Mehr noch als eine Stadt ist Rom ein geheimer Teil von euch, ein verstecktes Raubtier. Mit ihm gibt es keine halben Sachen, entweder die große Liebe, oder ihr müsst da weg, denn das fordert das sanfte Raubtier.“ S. 16