Komplex

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oceanlover Avatar

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Eine grandiose historische Fiktion, wohlrecherchiert, mit intelligent durchdachten Zeitreisen, facettenreichen Charakteren, einer leisen Liebesgeschichte und geschickt konzipierten Spannungsbogen. Mein Seefahrtsherz ist begeistert.



Dieses Buch wollte ich schon seit dem Erscheinen letztes Jahr lesen; als es nun mit diesem wunderschönen Cover ins Deutsche übersetzt wurde, konnte ich nicht länger widerstehen - Leuchtturm, Zeitreise und eine Autorin, die auch auf der Pelican gesegelt ist; das klingt schon nach einem Buch für mich!

Bereits mit Widmung und Dankwort hatte die Autorin mein Herz berühren können - und auch auf allen folgenden Seiten war herauszulesen, dass sie nicht nur in Büchern über Seefahrt informiert hat, sondern selbst an Bord war. Ich liebe es, wie sie mit ihren Beschreibungen das Setting lebendig machte, mich förmlich zwischen die Seiten sog - das ohrenbetäubende Rattern der Ankerketten, dieses Gefühl, mitten in der Nacht geweckt zu werden und wie man sich dennoch an den Wachrhythmus gewöhnt, das Hochgefühl trotz und wegen der Erschöpfung nach dem Steuern, wie die Seekrankheit im Liegen oder bei Konzentration nachlässt, wie Becher wegen des Seegangs über den Tisch rutschen... Ich hatte das Gefühl, selbst dabei, wieder an Bord zu sein. Und auch die Schlacht- und Kampfszenen sind durch die Details realistisch und bildlich; Schrecken und Verlust liegen die ganze Geschichte über in der Luft und lassen das Grauen von Krieg lebendig werden.

Die Geschichte besteht aus vielen Zeitsträngen und möglichen Verläufen, die die Autorin geschickt umeinander gewoben hat, sodass erst ganz am Ende alle Fragen geklärt sind. Okay, nicht alle, aber dafür müsste ich in die Spoilerkiste greifen:

Geschickt reißt die Autorin etwas an, nur um dann die Szene zu wechseln oder einen Bericht abrechen zu lassen, sodass über das gesamte Buch hinweg viel Ungewissheit herrscht, was genau geschieht. Manches ahnte ich dabei, anderes hingegen konnte ich mir nicht zusammenreimen und oftmals musste ich die Geschehnisse kurz zeitlich lokalisieren, um folgen zu können - eine meisterhaft komplexe, unkonventionelle und spannungsreiche Erzählung! Keine Geschichte, die ich einfach so nebenbei lesen konnte, sondern eine, auf die ich mich einlassen musste und die mich nach Beenden noch immer nicht losließ. Es ist alles erzählt und doch würde ich so gerne noch länger in dieser Welt verweilen, bei liebgewonnenen Charakteren und sicherstellen, dass es ihnen (jetzt) gutgeht...

Denn die Charaktere sind ein weiterer Grund, dieses Buch zu lieben - sie sind vielschichtig und von Schicksal, Krieg und Leid gezeichnet; keine 0815-Figuren, sondern Menschen mit Ecken und Kanten, die sie realistisch und greifbar, liebenswert, machen. Und ja, es gibt eine Liebesgeschichte, die sich durch die Zeitstränge windet, zart und verzweifelt und genau deshalb so berührend. Sie schimmert bis zum Ende immer wieder durch, nimmt aber nie viel Raum ein, sondern taucht nur an den Rändern der Wahrnehmung auf und ist dennoch essentiell. Eine Liebe, die sich langsam entwickelt, die Zeit überdauert und mich auf den letzten Seiten atemlos mitfiebern ließ.

Kurzum, diese unkonventionelle Erzählung hat einfach alles, um mich zu begeistern - authentische Beschreibungen des Lebens auf See, das Spiel mit der Faszination Leuchtturm, Geheimnisse und Zusammenhänge, die erst nach und nach gelüftet und erklärt werden, überzeugende Charaktere, eine berührende Liebesgeschichte, viel Verzweiflung und Action. Spannung von der ersten Seite an.