Eine echte Entdeckung aus Tschechien

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singstar72 Avatar

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Kommissar Marián Holina, seien Sie mir gegrüßt! Schon seit 2014 tummeln sie sich in tschechischen Buchhandlungen, und haben erst jetzt den Weg zu uns nach Deutschland gefunden. Da muss ich sagen: besser spät als nie! Mir gefällt die Geradlinigkeit (aber auch menschliche Komplexität) Ihres Falles; dazu das analytische Denken, und Ihre persönliche Umgänglichkeit. Sie stellen eine echte Entdeckung und wohltuende Neuerung auf dem Krimimarkt dar; daher hoffe ich, dass Sie uns noch öfters mit Ihrer Anwesenheit beglücken werden!

Kurz – ich war begeistert von diesem Buch, und würde es aufgrund seiner vielfachen Qualitäten sogar in die Nähe „richtiger“ Literatur rücken. (Wobei ich diese Unterscheidungen in vielen Fällen sowieso recht albern finde.)

Ich weiß gar nicht recht, wo ich anfangen soll… vielleicht mit dem Aufbau des Buches. Es hat keine hektischen, kurzen Kapitel nach amerikanischem Muster. Nein, das Buch ist nach „Tagen“ aufgebaut – sinnigerweise ist es ein heißer Sommer in Prag, und es baut sich ein Gewitter auf. Das Buch zählt also die Tage bis zu diesem Gewitter – was sich in der ganzen Stimmung des Falles niederschlägt. Sehr stimmig und spannend gemacht! (Die Auflösung geschieht selbstredend am Tag, wo sich alles „entlädt“…)

Das Buch nimmt sich viel Zeit für seinen Fall. Es beginnt mit einer scheinbar völlig nebensächlichen Handlung (die aber später noch an Bedeutung gewinnt!), und der Charakterisierung einiger – späterer – Protagonisten. Erst nach und nach werden Gefühlslagen und Motive verständlich – was ich sehr gut gemacht fand! Motive werden hier nicht auf dem Präsentierteller serviert, sondern erfahrbar gemacht.

Das Opfer, Osvald Zapletal, ein Polizist mit nicht ganz weißer Weste, wird erst nach einem gefühlten Drittel des Buches aufgefunden. Bis dahin kann man als Leser schon seine Vermutungen anstellen. Kommissar Holina tritt hinzu – und er hinkt dem Leser ein wenig hinterher. Er muss erst die zahlreichen Motive herausfinden. Das Opfer hatte sich wahrlich genügend Feinde gemacht! Die Spannung liegt hier gerade im Menschlichen, nicht etwa in ausgefuchster Kriminaltechnik oder an sich spannenden Ermittlungen. Nein – welche moralische Verstrickung führte zu welchem Groll? Welche Handlung hatte welche Folgen? Welche Abhängigkeit ist wie entstanden? Das war wirklich meisterhaft geschildert!

Kommissar Holina selbst ist sehr sympathisch. Er hat sich eine alte Werkstatt zur Wohnung umgebaut; bewertet Hörnchen (also Croissants) nach einem internen Notensystem, und hat eine Geliebte – mit der es ihm aber ernst ist. Er ist dreisprachig – tscheschisch, slowakisch, und ungarisch. Ihm liegt sein Beruf am Herzen. Er hat Verständnis für die – meisten – Menschen, und hört genau zu. Er arbeitet langsam, aber methodisch. Erst ganz zum Schluss überschlagen sich die Ereignisse.

Das Buch ist wirklich dramaturgisch großartig aufgebaut! Und noch dazu wartet es mit einigen liebenswerten Überraschungen auf, die ich persönlich aus Tschechien nicht erwartet hätte. Eine Nebenhandlung dreht sich zum Beispiel um Marihuana, den Anbau einer Plantage, und die Weltsicht von Kiffern. Es gibt auch Passagen mit unerwartetem Humor – wenn zum Beispiel Holinas Chef unter Stress „explodiert“. „Hau doch ab, du Minderheit!“ … Es werden erfrischend neue Wege gefunden, mit missliebigen Journalisten umzugehen. Auf eine unverschämte Frage einer Reporterin antwortet Holina ganz einfach – auf Ungarisch! Die Verblüffung ist groß…

Letztlich war dies insgesamt eine überaus befriedigende Lektüre. Wie gesagt, sowohl aus unterhaltsamer, als auch aus literarischer Sicht. Sehr schön auch, dass am Ende eben nicht alles in Friede, Freude und Eierkuchen ausartet. Einige Aspekte bleiben offen, oder erhalten eine sehr nachdenkliche Wendung. Ich würde diesen Krimi bedenkenlos jedem empfehlen, der sowohl Spannung als auch „einfach ein gutes Buch“ sucht.