Hat nichts an Aktualität eingebüsst

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angie99 Avatar

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Was, wenn es Leben außerhalb der Erde gäbe? Was, wenn Außerirdische auf unseren Planeten kommen würden? Wie würden sie aussehen? Was wären ihre Absichten? – Während die Unterhaltungsindustrie sich schon ausgiebig an diesem Thema versucht hat und sich sowohl gefährlichen feindlichen Angriffen gewidmet hat als auch skurillen, jedoch liebenswürdigen und moralisch oft höherstehenden Lebensformen, öffnet der bereits verstorbene amerikanische Autor Walter Tevis hier noch eine weitere Schublade, eine insgesamt weniger spektakuläre, aber doch bestechende: Was, wenn sie uns ähnlicher wären als angenommen?!

Der von Anthea stammende Mann, der sich fortan Thomas Jerome Newton nennt, fällt in einer unwirtlichen Gegend in Kentucky vom Himmel. Er kaschiert seine andersartigen Äußerlichkeiten und versucht, nicht aufzufallen. „(Er war) krank vor Sorge, der Vorahnung einer Katastrophe, und gebeutelt von der entsetzlichen Last seines eigenen Gewichts. Seit Jahren hatte er gewusst, dass er so etwas wie das hier spüren würde, wenn der Augenblick gekommen war, wenn er endlich gelandet wäre und anfinge, den komplexen, seit Langem vorbereiteten Plan umzusetzen. Diese Welt, wie intensiv er sie auch studiert, wie oft er seinen Part darin geprobt haben mochte, war so unglaublich exotisch, das Gefühl, jetzt, da er fühlen konnte, dieses Gefühl war einfach überwältigend. Er lag im Gras und übergab sich.“ (S. 15)

Der erste Teil der (anfänglich nicht bekannten) Mission dieses seltsamen Mannes besteht darin, möglichst viel Geld anzuhäufen, was ihm auch schnell gelingt. Doch dann tauchen erste Schwierigkeiten auf; Newton entdeckt den Alkohol, der ihn in immer tiefere Sinnkrisen stürzt. Und die Erdmenschen, die auf seine auffälligen intellektuellen Fähigkeiten aufmerksam werden, fragen sich, mit wem sie es hier eigentlich zu tun haben. „… wer wusste schon, was für ein Mensch er war? (…) In diesem Moment schien fast alles möglich; und er fand es keineswegs absurd, dass er, Nathan Bryce, mit einem Marsmenschen Wein trank und Käse aß. Warum auch nicht? (…) Er musterte ihn erneut. Newton fing seinen Blick auf und lächelte ernst. Vom Mars? Wahrscheinlich kam er aus Litauen oder Massachusetts.“ (S. 120) Doch was, wenn er wirklich ein Außerirdischer wäre? Was wären seine Absichten? Warum ist er auf der Erde gelandet?

Da „Das Damengambit“ zu meinen Lesehighlights 2021 zählt, war ich sehr gespannt auf ein weiteres Werk von Tevis, das er bereits 1963 geschrieben hatte und nun in einer (übrigens sehr gelungenen) Neuübersetzung frisch aufgelegt wird.
Obwohl es in diesem Fall nicht um Schach geht, erfindet Tevis ein weiteres Wunderkind, das mit Abhängigkeit und Heimatlosigkeit zu kämpfen hat. Es gelingt ihm auch hier problemlos, komplexe Vorgänge und psychologische Feinheiten auf eine allgemein verständliche Art herunterzubrechen. Seine Charaktere sind plastisch gestaltet, der Schreibstil reichhaltig und angenehm flüssig.
Allerdings war ich vom „Mann, der vom Himmel fiel“ nicht ganz so gefesselt wie von der schachspielenden Beth; im Mittelteil gibt es doch ein paar langatmigere Stellen, die wenig zum Fortlauf der Geschichte beitragen.
Die versprochenen philosophischen Anklänge finden sich fast ausschließlich im letzten Drittel des Buches; hier zündet der zurecht hochgelobte Autor gleich mehrere Feuerwerke mit intelligenten Dialogen und unvorhersehbaren Ereignissen, ohne jedoch in gekünstelte Überdramatik zu verfallen.

So bleibt am Ende auch keine rosa Wolke guten Gefühls zurück; im Gegenteil, es bleibt offen. Es ist furchtbar ärgerlich und genau deswegen so unheimlich gekonnt, dass ich deswegen meine 4,5 Sterne auf volle 5 aufrunde.
Denn damit gelingt es Walter Tevis, einen eindrücklichen Nachhall auszulösen und ich bin sicher: auch „Der Mann, der vom Himmel fiel“ wird zu den Charakteren gehören, die ich so schnell nicht vergessen werde!