Boulevardpresse - kopflos

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philipp.elph Avatar

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An verschiedenen Stellen in und um New York werden im Sommer 1897 diverse Leichenteile gefunden, die zu einem einzigen Körper gehören. Nur der Kopf taucht nirgends auf.

Paul Collins beschreibt den wahren Kriminalfall, der die New Yorker Presse monatelang beschäftigt und einen ungeheueren Wettlauf der Zeitungen auslöst, bei dem es um die spektakulärsten Schlagzeilen und somit um die höchsten Auflagen und die Dominanz im Zeitungsgeschäft jener Zeit geht. Den Zeitungsherausgebern, allen voran Joseph Pulitzer und William Randolh Hearst, ist jedes Mittel recht, ihr Ziel zu erreichen. Sie bauen eigene Ermittlungsteams auf, die teilweise erfolgreicher sind als die Polizei - auf alle Fälle aber skupelloser im Umgang mit der Wahrheit. Reporter einzelner Zeitungen schwärmen zu Hunderten aus, um sensationelle Neuigkeiten zu erfahren und darüber zu berichten. Die Bild Zeitung des 20. Jahrhunderts ist ein harmloses Käseblättchen gegen die Berichterstattung im Fall Guldensuppe, spektakuläre Stories der Privat-Sender von heute zum Einschlafen!

Collins beschreibt die Entstehung der Boulevardpresse und er bedient sich dieser. 16 Zeitung dienen ebenso als Quellen für dieses Buch wie Gerichtsakten und die Erinnerungen an beteiligte Detectives und Journaisten. Mehr als 1000 Stellen werden aus diesen Quellen zitiert.

Was so wissenschaftlich aussieht, liest sich jedoch wie ein wahrer Thriller, unterteilt in die großen Kapitel "Das Opfer", "Die Verdächtigen", "Die Anklage", "Der Prozeß" und "Das Urteil" - eine insgesamt schier unglaubliche Kriminalgeschichte um das Verschwinden des Einwanderers Guldensuppe und dem Auftauchen einiger seiner Körperteile, der Suche nach den Verdächtigen, Prozeß und Urteil.

Zwischendurch - wenn es um die Identifizierung der Leichenteile geht - nimmt das Ganze kuriose Züge an, weil Heerscharen von Schaulustigen einen Blick auf die Fragmente werfen möchten und phantasievoll mögliche Opfer erfinden oder bestätigen, dass die Teile Guldensuppe zuzuordnen sind. Diese präzise Beschreibung wirkt dann doch mit der Zeit ermüdend, weil man wissen möchte, welche Rolle denn nun Gussi Nack und andere in diesem Fall gspielt haben.

Und welche Rolle haben die Hauptverdächtigen gespielt? Ebenso wie im "Lindbergh-Kidnapping-Case", der sich rund 30 Jahre später ereignet hat, bleibt diese Frage offen - trotz vollzogener Todesstrafe und Verurteilung zu langjähriger Gefängnisstrafe der Beteiligten.

Für LeserInnen, die sich für wahre Kriminalfälle und/oder die Entwicklung der Boulvardpresse interessieren, ist dies ein wirklicher Leckerbissen.

Philipp Elph