kopfloser Fall Guldensuppe

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majandra Avatar

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**1)     ** **Inhalt**

 

An einem Pier der East Eleventh Street Manhattans versuchen einige Jugendliche, den heißen Tag durch Sprünge ins kalte Wasser des East Rivers erträglicher zu machen – bis einer von ihnen ein eigenartiges Paket aus dem Fluss zieht. Zusammengeschnürt in einem roten Wachstuch entdecken sie den Oberkörper einer männlichen Leiche.

 

Anfangs als Scherz von Medizinstudenten abgetan, wird spätestens beim Fund des unteren Leichenteils in einem völlig anderen Teil der Stadt klar, dass es sich um einen brisanten Mordfall handelt. Arthur Carey – seinerzeit zwangsversetzt – kehrt zurück nach New York und beginnt mit den Ermittlungen. Mehr und mehr zeigt sich, dass es sich um einen ungewöhnlichen Mordfall handeln muss – unterschiedlichste Zeugen identifizieren die Leichenteile im New Yorker Leichenschauhaus als unterschiedlichste Personen, was nicht weiter verwunderlich ist, da der Kopf der Leiche fehlt. Die Polizei steht also erst einmal vor einer Wand, an der sie nicht vorbeikommt.

Die Presse hingegen ist ganz und gar nicht hilflos und beginnt mit eigenen Ermittlungen. Zu einer Zeit, als die großen Zeitungen wie _New York World, New York Herald_ oder _New York Journal_ gerade dabei sind, sich von unbedeutenden zu weltbewegenden Blättern zu entwickeln, brechen sie bisherige Schranken auf und beginnen mit einer Berichterstattung, die alles bisher dagewesene in den Schatten stellt. Eigene Journalisten, die als Ermittler tätig sind, finden die ersten heißen Spuren und entlarven den Toten als Masseur William Guldensuppe.

 

Die Berichterstattung über den Fall nimmt ungeahnte Ausmaße an und stachelt die Zeitungen untereinander dazu an, zu immer moderneren Mitteln zurückzugreifen. Erste Farbdrucke entstehen, die Formate ändern sich, Zeitungen kommen selbst finanziell für Untersuchungen auf. Zusammen mit der Polizei decken sie auf, dass Mrs. Nack und ihr Liebhaber Martin Thorne für den Mord verantwortlich sind – verschiedene Geständnisse und Schuldzuschiebungen machen deutlich, dass jeder den jeweils anderen in die Geschichte verstricken will.

 

Ab diesem Zeitpunkt handelt der Roman von der Berichterstattung der verschiedenen Zeitungen, die alle Geschehnisse nach wie vor verfolgen – Verhöre, Gefängnisaufenthalte, den Prozess. Eines jedoch ist nach wie vor unklar: Waren es tatsächlich Mrs. Nack und Martin Thorne? Mehr und mehr erhärtet sich der Verdacht, dass es sich bei dem Toten vielleicht gar nicht um William Guldensuppe handelt – von verschiedenen Zeugen ist dieser nämlich quicklebendig gesehen worden, und ein Kopf ist nach wie vor nicht aufgetaucht …

 

**2)     ** **Analyse**

 

Besonders beeindruckend ist das Cover des Romans, das auf den ersten Blick deutlich macht, wie sehr es sich um einen Zeitungsroman handelt. Einzelne originale Zeitungsausschnitte prangern am Titelbild, und diese Eigenart zieht sich auch durch das gesamte Innenleben des Buches. Da bereits als Vorwort deutlich gemacht wird, dass der Roman in seiner Gesamtheit auf der originalen Berichterstattung von New Yorker Zeitungen des 19. Jahrhunderts basiert, wird erst deutlich, in welchem Ausmaß sich der Autor mit der zeitgemäßen Aufarbeitung des Mordfalls auseinandergesetzt hat. Zudem benennt Collins am Ende seines Werks in nicht weniger als 57 Seiten sämtliche seiner Quellen, die er aus den aktuellen Zeitungen dieser Zeit entnommen hat.

 

**3)     ** **Kritik**

 

Es ist erstaunlich, in eine Welt einzutauchen, die sich kurz vor der Modernisierung und Industrialisierung unseres Lebens tatsächlich so dargestellt hat. Dem Autor gelingt es durch seine zeitgemäße Darstellung anhand der zahlreichen Quellen in ungeahntem Ausmaß, ein Werk zu schaffen, durch das man sich mehr als in jedem anderen in die entsprechende Zeit versetzen kann – vermutlich liegt das an den zahlreichen Zitaten, die tatsächlich so aus den damaligen Zeitungen entnommen worden sind. So erfahren die LeserInnen aus erster Hand, wie sich die Aufklärung des Mordfalls Guldensuppe damals entwickelt hat, und stehen doch keinem historischen Werk, sondern Unterhaltungsliteratur gegenüber.

 

Besonders spannend ist die unmittelbare Mitverfolgung der Entwicklung der großen New Yorker Zeitungen. Ein regelrechter Machtkampf um die modernere und bessere Berichterstattung ist Ausgangspunkt für die gesamte Handlung im Buch – zurückzuführen natürlich auf die Quellen, die Collins als Grundlage verwendet hat und derer hauptsächlich Zeitungen zu nennen sind. Gerade dadurch gelingt ein Abbild einer Welt, die uns in unserem aufgeklärten und technisch weit fortgeschrittenen Zeitalter schon ziemlich fern und unbekannt ist. Besonders gegen Ende des Romans wird die große Zeit des Aufschwungs deutlich, die der Autor in seinem Buch festhält – als die Veränderung der Stadt geschildert wird, die vor ein paar Jahren noch von Kutschen und nun von Automobilen und Kinos geprägt ist. Es ist faszinierend, sich in dieser Welt zu verlieren, die jeden Tag noch neue Spannung in neuen wissenschaftlichen Methoden gefunden werden konnte.

 

Spannung erhält das Werk nicht nur durch die zeitgeschichtliche Darstellung, sondern auch durch den Inhalt der Berichterstattung selbst. Erstens handelt es sich um einen realen Mordfall, der damals so stattgefunden und so ermittelt worden ist, zweitens bleiben einige Fragen bis zuletzt offen. So bleibt die Aufmerksamkeit der LeserInnen nicht aufgrund der Frage aufrecht, wer der Mörder ist – Mrs. Nack und Martin Thorne werden bereits im ersten Drittel des Buchs verhaftet – viel interessanter ist die Frage, ob Guldensuppe tatsächlich der Tote ist und wer der beiden Beschuldigten am Ende alle Schuld von sich streifen kann.

**4)     ** **Empfehlung**

 

Dieses Buch eignet sich nicht nur für Freunde von Kriminalfällen – auch für Interessierte am 19. Jahrhundert oder an der Entwicklung des Zeitungswesens sind hier sehr gut aufgehoben. Außerdem ist es durch die schrittweise Berichterstattung möglich, selbst ein wenig zu überlegen, wie der Fall schließlich zu Ende gebracht werden könnte.

Man sollte allerdings das Cover vorab nicht zu genau studieren, da einige Zeitungsausschnitte darauf abgebildet sind, die Teile der Handlung vorwegnehmen!