Viel mehr als nur "true crime"

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annajo Avatar

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In New York werden im Sommer 1897 über die Stadt verteilt Leichenteile gefunden. Da der Kopf fehlt bleibt die Identität des Opfers lange ein Rätsel. Schließlich kommen Journalisten Opfer und potentiellen Tätern auf die Spur und liefern sich eine wahre Schlacht um die höchsten Auflagen.

Paul Collins erzählt in diesem Buch zum einen den historischen Kriminalfall um William Guldensuppe, zum anderen aber auch die Geschichte der Boulevardpresse in den USA. Verwoben mit der Suche nach den Tätern und dem späteren Gerichtsprozess sind auch die Schicksale der großen Zeitschriften der Yellow Press New Yorks, angetrieben vor allem von Pulitzer und Hearst. Deutlich wird auch, welch großen Einfluss Journalisten in diesen Ermittlungen hatten und teilweise die Arbeit einer korrupten und rückständigen Polizei übernahmen oder auch behinderten. Collins lässt zu Beginn des Buches das New York zur Jahrhundertwende farbenfroh auferstehen. Der Schreibstil ist literarisch hochwertig und verleiht dem Buch einen Anschein von Belletristik. Zunächst ist das Geschilderte keinesfalls trockene Rezitation von Fakten, sondern gleicht beinahe einem historischen Krimi mit sehr anschaulichen Beschreibungen. Leider fällt der Autor am Ende zu früh aus dieser Rolle, sodass der Stil in einen Bericht übergeht. Gespickt ist das Buch mit jeder Menge historischem Material, Artikeln und Abbildungen der Presse sowie zahllose Zitate aus umfangreichen Zeitzeugenberichten. Durch die Vielzahl an Charakteren wird die Geschichte jedoch auch etwas unübersichtlich und erschwert einen Wiedereinstieg, wenn man das Buch einige Tage zur Seite legt. Optisch ist das Buch sehr ansprechend gestaltet, sodass man den Schutzumschlag eigentlich weglassen kann. Collins bietet darüberhinaus interessante Einblicke in die Polizeiarbeit vor 100 Jahren, die man sich in den Zeiten von CSI und anderen Mythen gar nicht mehr vorstellen kann, unfassbar beispielsweise die Vorgehensweise bei der Identifikation des Opfers: jeder kann die Leiche im Leichenschauhaus betrachten und als angeblichen Familienangehörigen erkennen.

Dieses Buch ist mehr als nur ein True-Crime-Buch. Es weiß zu fesseln, den Leser mit hineinzuziehen und die Geschichte bildhaft und lebendig zu erzählen. Und aufgrund des faktischen Hintergrunds ist es überzeugender als jeder fiktive Krimi. Zudem erheitert es den Leser mit den frühen Anfängen dessen, was heute allgegenwärtig ist: Fingerabdruckanalysen, farbige Fotos in Zeitungen, u.v.m. Dabei steigt der Autor jedoch so überzeugend in die damalige Zeit ein, dass es kein Vorführen der damaligen Personen für ihre "Naivität" ist, sondern glaubhaft macht, wie schwierig ein Fall wie Guldensuppe damals war. Für mich eine klare Leseempfehlung.