Eingeschneit mit einem Mörder

Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
krimine Avatar

Von

Winter 2007 in Norwegen. Ein heftiger Schneesturm tobt, als ein Zug mit 269 Passagieren, unterwegs von Oslo nach Bergen, entgleist. Bis auf den Lokführer werden alle Passagiere lebend gerettet und in einem nahe gelegenen Berghotel in Finse untergebracht. Ein Kontakt zur Außenwelt ist nicht möglich und notgedrungen arrangieren sich die Eingeschlossenen mit der unausweichlichen Situation. Für Essen, Trinken und ein wenig Unterhaltung ist gesorgt, so dass genügend Zeit bleibt, sich mit Spekulationen um einen zusätzlich angehangenen Zugwaggon zu befassen, dessen Insassen mysteriös anmuten, die aber niemand zu Gesicht bekommen hat. 

Unter den unfreiwilligen Hotelgästen, immer ein wenig abseits im Rollstuhl sitzend, befindet sich die ehemalige Polizistin Hanne Wilhelmsen, die vor fünf Jahren im Rahmen eines Polizeieinsatzes schwer verletzt wurde. Seit ihrem Unfall hat sie sich vom Leben zurückgezogen und tritt den Menschen in ihrer Umgebung unhöflich, verschlossen und unfreundlich gegenüber. Jede noch so gut gemeinte Hilfe lehnt sie schroff ab und verkriecht sich lieber in ihrem Schneckenhaus, ein Verhalten, das sich im Laufe des Geschehens und aufgrund der gegebenen Situation zunehmend schwerer bewerkstelligen lässt.

 

In der Nacht fallen die Temperaturen weiter, der Wind nimmt zu. Ein Ende des Sturms ist nicht in Sicht, als vor der Tür, im Schnee liegend, eine Leiche entdeckt wird. Der Tote, ein extrovertierten Pastor, der durch vielfältige Fernsehauftritte seine Bekanntheit und Volksnähe akribisch gepflegt und gezielt ins rechte Licht gesetzt hat, ist erschossen worden. Nun ist es schlagartig vorbei mit der Ruhe im idyllischen Berghotel. Angst macht sich unter den Anwesenden breit, der Sturm zerrt an den Nerven der Gäste und genau an diesem Punkt geschieht der nächste Mord. 
 

Die ehemalige Polizistin Hanne Wilhemsen, deren Vorleben einigen der Anwesenden hinlänglich bekannt ist, gerät durch die Ereignisse immer mehr unter Druck. Man bittet sie, sich der Sache anzunehmen und die Verbrechen aufzuklären, bevor die Situation eskaliert. In die Enge getrieben, stimmt sie mürrisch zu und versucht mit Hilfe der Hoteldirektorin und zwei weiterer Gäste Licht in die Geschehnisse zu bringen. Hierbei bemerkt sie zum ersten Mal, dass ihre passive sitzende Position auch Vorteile mit sich bringen kann. Bedingt durch die ungewöhnliche Perspektive und die dadurch genommene Möglichkeit in Handlungen aktiv eingreifen zu können, erschließen sich ihr Dinge, die andere übersehen. Ihre jahrelange, gut geschulte Beobachtungsgabe kombiniert sie geschickt mit systematischem Denken und so gelingt es ihr, die Morde aufzuklären und den Täter ganz in Agatha-Chriestie-Manier letztendlich zu stellen.

 

Aber nicht nur die ungewöhnlich Aufklärung des Verbrechens unter Einbeziehung eines breiten Publikums und der passiven Haltung der anwesenden Polizei, erinnert an die Romane der Autorin Agatha Christie. Auch die vielseitige Ausstattung der anwesenden Personen mit kuriosen Angewohnheiten, eigenwilligen Charaktere und dunklen Vergangenheiten, wie auch die Einbeziehung einer ungewöhnlichen Todesart, lassen den Leser unweigerlich an die psychologisch raffinierten Methoden von Miss Marple oder Hercule Poirot denken.

 

Anne Holt hat mit „Der norwegische Gast“ einen Kriminalroman geschrieben, der durch seinen leichten, flüssigen Schreibstil lesenswert daherkommt, trotz alledem aber zu sehr an seine Vorgänger erinnert. Die Idee, Personen von der Außenwelt abzuschneiden und sie gemeinsam mit einem Mörder einzuschließen, ist durch vielfältige Romanvorlagen und Filme bereits überstrapaziert und weist auch in diesem Buch keine neuen Nuancen auf.  Hier kann man sich als Leser der Autorin nur wünschen, dass sie bei zukünftigen Romanen mit neuen Ansätzen brilliert. Ein weiteres Manko stellt der nicht durchgängig vorhandene Spannungsbogen dar, der allerdings durch die gewählte Erzählform kompensiert wird. Bedingt durch die Nutzung der Ich-Perspektive erlaubt die Autorin einen tiefen Einblick in die Seelen- und Gefühlswelt der Hauptprotagonistin und schafft es dadurch, dass die Geschichte einiges an Tiefgang erfährt. Und genau dieser Tiefgang ist es, was den Leser dazu bringt, das Buch nicht aus der Hand zu legen.

 

Insgesamt ist „Der Norwegische Gast“ ein Buch, das man entspannt lesen kann, von dem der versierte Krimileser aber nicht zuviel erwarten sollte.