Balsam für die Seele.

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mademoiselle_leni Avatar

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Um was geht's?
Wir schreiben das Jahr 1989. Die Felder im Süden Englands werden zur Leinwand zweier Freunde - Calvert und Redbone -, die dort der Welt ihre Kunstwerke in Form von zehn Kornkreisen präsentieren; jeder ist komplexer und ausgefeilter als der vorherige, und mit jedem steigt die Aufmerksamkeit, die die beiden erregen. Sogenannte Experten und Touristen strömen herbei, und die Bauern nehmen sogar Eintritt für "ihre" Kornkreise. Doch niemand weiß, dass Calvert und Redbone hinter den mysteriösen Vorkommnissen stecken. Denn das gehört zu ihrem Kodex: "Nähre den Mythos und strebe nach Schönheit, ja, aber offenbare nie die Wahrheit" (S. 23). Gemeinsam schlagen sich die beiden die Nächte um die Ohren um das perfekte Kunstwerk, den perfekten Kreis, zu erschaffen. Wird es ihnen diesen Sommer gelingen?

Die Handlung.
Es gibt zehn Kapitel, jeweils einem Kornkreis zugeordnet. Dabei verlaufen die Kapitel alle ähnlich: die Zwei ziehen nachts los, ziehen ihre Kornkreise, erleben Tragisches und auch Lustiges und können am Ende dann in der Berichterstattung die Neuigkeiten und Spekulationen über ihr Werk erfahren. Das ist die Handlung aufs Grobe runter gebrochen.
Was diesen Roman jedoch so besonders macht ist das Dazwischen: Eine Hommage an Landschaft, Natur, Freundschaft; eine liebevolle Zeichnung von Träumen und Wünschen; ein leiser und doch irgendwie lauter Appell an die Menschen, anders - besser - mit der Natur umzugehen, ohne die sie nicht sein können.
"'Am allerwichtigsten ist, dass wir die Aufmerksamkeit auf das Land selbst lenken. Weil, ernsthaft, es geht nicht um die Muster oder die Kornfelder, es geht um das Land. Das *Land*. Es geht darum, den Menschen beizubringen, es zu lieben, damit sie es nicht einfach als gegeben hinnehmen, sondern den Drang haben, es zu schützen (...)'" (S. 184).
"Der perfekte Kreis" ist, ähnlich wie "Offene See", ein ruhiger Roman, unaufgeregt und leise; mahnend, aber ohne Fingerzeig; dabei bildgewaltig und poetisch.
Und ja, am Schluss zeigt sich, dass Schönheit auch nur sehr kurz Bestand haben kann, sie ist vergänglich und sollte wahrgenommen und geschätzt werden.

Die Charaktere.
Redbone, Aussteiger, Lebemann und Ex-Punk, ist der Kopf des Ganzen. Dabei ist er bewusstseinsverändernden Mitteln nicht abgeneigt um seine Kornkreisformationen zu entwerfen. Calvert, körperlich und seelisch geschundener Veteran, ist der Mann fürs Grobe. Er sucht und findet die Felder, auf denen die Freunde ihre Kornkreise ziehen können und ist außerdem (neben Redbone) an der physischen Ausführung beteiligt, weiterhin ist er für den Proviant zuständig.
Die beiden sind auf den ersten Blick recht unterschiedlich und doch sind beide irgendwie Ausgestoßene, beide wollen nicht so recht in die Gesellschaft hineinpassen. Das, zusammen mit ihrer Liebe zur Natur, verbindet sie in einer tiefen Freundschaft, die von Distanz und Akzeptanz noch mehr lebt als von allem anderen.
Mir fehlt bei den beiden jedoch ein bisschen Hintergrundinformation, was dazu führt, dass für mich persönlich die beiden Charaktere relativ blass bleiben. Vieles wird nur angedeutet. Wie haben sich die beiden gefunden? Wie kamen sie auf die Idee ausgerechnet Kornkreise zusammen zu erschaffen?

Der Schreibstil.
Der Schreibstil ist, wie auch schon bei Myers "Offener See", so herausragend schön, dass ich es kaum beschreiben kann. Der Umfang des Vokabulars ist schier umwerfend - und dann kann Myers die schönen Worte auch noch so grandios aneinander reihen. Wobei hier der Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann auch eine entscheidende - brillante - Rollte zukommen dürfte. Hut ab!
Teilweise habe ich laut gelesen, weil es einfach so schön klang. Das ist auch zugleich das beste und schlechteste Merkmal des Romans: Die Worte klingen (laut ausgesprochen) so gut, dass ich teilweise Sätze mehrmals lesen musste, um zu verstehen, was ich da grade überhaupt gelesen habe.

Fazit.
An "Offene See" kommt "Der perfekte Kreis" nicht ganz ran, einfach weil mir dazu die Protagonisten im Vergleich leider zu blass geblieben sind. Das ist aber nicht weiter tragisch, denn die beiden stehen sowieso im Hintergrund, sie sind nicht wichtiges Element des Ganzen, sondern eher Nebensache, würde ich behaupten.
Myers hat hier einen faszinierenden und bildgewaltigen Roman zu Papier gebracht, der dem Debüt in nahezu nichts nachsteht. Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen.