Einfühlsamer Roman über den künstlerischen Schaffensprozess

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Der Autor Benjamin Myers nimmt uns mit in das ländliche England mitten ins Jahr 1989. Die Ära Thatcher neigt sich dem Ende zu. Das Land hat harte Jahre hinter sich mit Massenarbeitslosigkeit, dem Abhängen ganzer Bevölkerungsschichten, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konflikten und dem Falklandkrieg.

Im Sommer 1989 machen plötzlich Gerüchte und esoterische Mutmaßungen die Runde. Die Presse berichtet über merkwürdige und immer aufwändigere Kornkreise auf Getreidefeldern des Landes. Sollten dies Zeichen eines außerirdischen Besuchs sein oder esoterische Aktivitäten?

Doch wer ist der wahre Urheber dieses Mysteriums, dieser zauberhaften Kornkreise? Die Freunde Calvert und Redbone beobachten die Berichterstattung und die Aufmerksamkeit der Bevölkerung ungerührt. Es käme wohl kaum jemand auf die Idee, dass diese beiden Männer mittleren Alters, die eher am Rande der Gesellschaft stehen, in der Tarnung der Nacht hochkomplizierte Kreisfiguren ins Korn zaubern.

Obwohl Calvert noch nicht mal den vollen Namen seines langjährigen Freundes Redbone kennt, sind die beiden ein eingeschworenes Team, das sich ohne große Worte versteht.
Calvert, ein traumatisierter Veteran aus dem Falkland-Krieg, ist ein Mann der Tat. Der Krieg hat tiefe innere und äußere Narben bei ihm hinterlassen. Deshalb tun ihm Grübeleien nicht gut. Stattdessen plant er im Sommer akribisch die gemeinsamen Einsätze auf dem Land. Da er seit dem Ausscheiden aus dem Militär kein Fleisch mehr isst, versucht er sich an der Kreation verwegener vegetarischer Mahlzeiten, die er an seinem Kumpel Redbone testet. Das Schaffen der Kornkreise lässt den verschlossenen Mann aufleben, löst Begeisterung in ihm aus.

Auch Redbone ist ein ganz besonderer Mensch: ein anarchistischer Punk, ein schriller Spaßvogel, der die Flora und Fauna liebt und sehr gut kennt.
Anders als Calvert sieht er dem Leben mit Spannung entgegen. Da er voller Fantasie, Inspiration und Mythos steckt, entwirft er die Kornkreise fast traumgleich.

Beide begeben sich energiegeladen auf ihre nächtlichen Abenteuer in das fast vergessene ländliche England. Natürlich verstoßen sie damit gegen Recht und Ordnung, auch wenn sie alles daransetzen keinen Schaden anzurichten. Schließlich haben die beiden ihren Arbeitsethos, ja, sind auf einen festen Kodex eingeschworen. Absolute Verschwiegenheit nach außen, reine künstlerische Handarbeit, Schutz der Natur gehören dazu. Dieser künstlerische Schaffensprozess macht sie glücklich und fast süchtig.

Dabei sind die Kornkreisjäger, die Presse, Wissenschaftler, Verschwörungstheoretiker und die Ordnungshüter auf ihren Fersen. Calvert und Redbone treffen auf den Feldern nicht nur auf wunderbare Naturereignisse, sondern auch auf ahnungslose sonderbare oder rücksichtslose Zeitgenossen.

Doch die Zeit des reifenden Getreides auf den Feldern ist begrenzt und das Ziel der beiden kreativen Freigeister hoch.


Fazit:
Benjamin Myers gelingt es in diesem Roman sehr fein und einfühlsam zwei ganz besondere Charaktere zu zeichnen. Die Darstellung ist so zart und liebevoll, dass man sie am liebsten ganz langsam und genussvoll lesen möchte. Kein Wunder, dass die beiden Außenseiter Redbone und Calvert einem rasch ans Herz wachsen.

Mit ihrem geschärften Blick und ihrer respektvollen, achtsamen Haltung nimmt man die Ereignisse in der Natur wahr. Ebenso erlebt man auch an ihnen, den Outlaws, den Zustand der damaligen Gesellschaft Großbritanniens. Der kreative Prozess ist eindrucksvoll, wenngleich der Autor nicht so viel verrät, als dass man gleich selber Kornkreise erschaffen könnte. Dafür lässt er uns über den Sinn des Lebens nachdenken.

Spaß bietet der typisch britische Humor, mit dem die Reaktionen der Presse, der Bevölkerung und der Wissenschaft auf die Kornkreisphänomene beschrieben werden. Fast ist man froh, dass der Autor die Geschichte in das Jahr 1989 gelegt hat, bevor die modernen sozialen Medien aufkamen.

Das Cover greift die Stimmung dieses Buches wunderbar auf. Im Zentrum steht der goldgelbe, schwungvolle Kreis vor einem angenehmen monochromen Hintergrund. Man sieht ihm den kreativen Prozess fast noch an. Nichts lenkt ab von seiner goldenen Ausstrahlung. Er wirkt nicht technisch, digital oder mechanisch entstanden, sondern aus dem Schwung einer menschlichen Hand.

Ein schmales aber reiches Büchlein, das ich nur zu gern weiter empfehle.