Nähre den Mythos und strebe nach Schönheit

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
bücherhexle Avatar

Von

Als ich hörte, dass der DuMont Verlag ein neues Buch von Benjamin Myers herausgibt, war sofort klar, dass ich es lesen muss, weil „Offene See“ eines meiner Jahres-Highlights im vergangenen Jahr war. Bei der Covergestaltung wurde sich wieder viel Mühe gegeben: der goldglänzende Kreis ist ein wunderschöner Hingucker. Thematisch geht es im neuen Roman jedoch in eine ganz andere Richtung:

Redbone und Calvert sind zwei unterschiedliche Lebenskünstler. Beide verbindet eine Männerfreundschaft, sie haben keine großen Erwartungen an das Leben. Der eine wohnt mehr oder weniger in einem VW-Bus, der andere in einem winzigen Cottage. Calvert ist ein disziplinierter, aber traumatisierter Kriegsveteran, hat nicht nur äußere sondern auch innere Narben davongetragen. Redbone tingelt als Musiker durch die Gegend, ist leichtlebig und steht Rauschmitteln aufgeschlossen gegenüber.

Beide sehnen sich nach der hellen Jahreszeit, denn sie haben ein eigenwilliges Hobby, nämlich das Erschaffen von geometrischen Kornkreisen. „Zu unterschiedlichen Zeitpunkten hat sich das Leben für sie beide angefühlt wie eine Hängebrücke über einem schmalen, bodenlosen Abgrund, an der dünne Seile schon zerfasert und gerissen sind, wie eine Szene im letzten Drittel eines Kinothrillers. Kornkreise sind die Rettungsleine.“ (S. 23)

Bei der Planung der einzelnen Kreise gehen sie akribisch vor und beachten einen strengen Verhaltenskodex. Insbesondere darf niemand etwas von ihrem Projekt erfahren. Die Kreise selbst werden sorgfältig geplant und auf Getreidefeldern im Südwesten Englands gebildet. Mit Präzision legen sie behutsam die Halme um, unnötige Zerstörung wird unbedingt vermieden. Insgesamt kreieren Redbone und Calvert zehn Kornkreise, deren Anspruch sich von Mal zu Mal steigert. Am Ende des Sommers soll der perfekte Kornkreis entstehen. Die Arbeit dauert jeweils fast die ganze Nacht, während der sie meistens keine Menschenseele treffen. Mit den Kornkreisen wollen sie etwas Schönes schaffen, nehmen allerdings die dabei entstehende Verwirrung der Bevölkerung billigend in Kauf. Die geheimnisvollen Kornkreise sind nämlich regelmäßig Thema in den Medien, die deren Urheberschaft bei invasiven Außerirdischen oder mystischen Sagengestalten sehen.

Es macht Freude, den beiden skurrilen Außenseitern bei ihrem Schaffen zuzuschauen. Sie sind geprägt von einer tiefen Liebe zur Heimat, der Natur und ihren Lebewesen. Man genießt die Dialoge, die teilweise philosophisch - gesellschaftskritisch oder auch humorvoll-originell daherkommen. Myers beherrscht sein Metier, er schreibt poetisch, facettenreich und nutzt zahlreiche Metaphern. Die meisten davon sind stimmungsvoll und wunderschön, manche enthalten für meinen Geschmack aber auch des Guten zu viel. Die Schilderungen der nächtlichen Naturbeobachtungen zeugen von Liebe zu Detail und wirken entschleunigend, es gibt für die beiden Männer jedoch auch Abenteuer zu bestehen, bei denen die Spannungs- und Humorkurve ausschlagen kann.

„Der perfekte Kreis“ ist ein ruhiges Buch. Er nimmt aktuelle Umweltthemen ins Visier und kritisiert die zunehmende Umweltzerstörung. Die beiden Protagonisten sind ausgesprochene Sympathieträger, man folgt ihnen gern. Ich empfehle das Buch allen Lesern, die einen sprachlich schön gemachten Unterhaltungsroman suchen. Für Spannungsleser oder literarische Ansprüche ist es eher weniger geeignet. Mich persönlich konnte dieser Roman nicht annähernd so begeistern wie „Offene See“. Trotzdem ist er auf seine Weise originell und besticht erneut mit seiner Sprache. Er wird bestimmt seine Leserschaft finden und begeistern.