Untreue hat ihren Preis…

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chaosbaerchen Avatar

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…das muss sich auch der Ich-Erzähler eingestehen. Er ist 54 Jahre alt, seit 19 Jahren verheiratet und hat eine pubertierende Tochter. Seit einem Jahr führt er ein Doppelleben. Von Montag bis Freitag arbeitet er in Paris, wo er eine deutlich jüngere Geliebte namens Alix hat, und am Wochenende ist er in Marseille bei seiner Familie, zu der auch sein krebskranker Vater gehört.

Er liebt seine Frau und er ist in Alix verliebt.

Beide Frauen haben ihren Bereich in seinem Leben. In diesem ersten Jahr konnte er die beiden Bereiche recht gut voneinander separieren. Nun aber steht ein Jahreswechsel an und er soll mit seiner Familie für zwei Wochen nach New York fliegen – über Weihnachten und Neujahr. Diese emotional behaftete Zeit lässt ihn kurz vor der Abreise in seinem Arbeitszimmer inne halten und sein Leben beleuchten. Er lässt das vergangene Jahr Revue passieren und analysiert nicht nur seine Beziehung zu Alix, sondern auch die zu seiner Frau. Er steht an einem Scheideweg und hofft insgeheim, dass die Reise mit seiner Familie ihm die Entscheidung abnehmen wird, wie es weitergehen soll.

Die Autorin hat es geschafft, haarscharf zu differenzieren. Die Selbstanalyse des Ich-Erzählers beleuchtet schonungslos alle Facetten (s)eines Ehebruchs. Im Grunde beantwortet er sich und seinen Lesern damit alle relevanten Fragen und doch bleibt zugleich das Entscheidende offen und die Interpretation letztlich dem Leser überlassen, so dass wenig bis keine moralischen Konflikte entstehen.
Allerdings frage ich mich, was der Mann für eine eigenartige Ehe führt, bei der die Frau ein ganzes Jahr lang nicht misstrauisch wird. Wenn man nur eine Wochenendbeziehung führt, dann zwingt sich so ein Doppelleben ja geradezu auf – ob mit Untreue oder ohne. Vermutlich weiß und toleriert die Frau mehr, als dem Ich-Erzähler bewusst ist.

Mir hat das Buch gut gefallen, vor allem die differenzierte Analyse der Beziehungen zu Ehefrau und Geliebter. Eine temporäre(!) Koexistenz ist so lange möglich, wie die Verliebtheit noch nicht dem Alltagstrott gewichen und eine Imbalance in der Gewichtung der beiden Beziehungen entstanden ist.