Eine Protagonistin, die mir lange im Gedächtnis bleiben wird

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
anniapfelkern Avatar

Von

Die sommerliche Farbgebung und die wunderschöne Blütenpracht auf dem Cover haben mich direkt angesprochen, sodass ich mich Knall auf Fall in die Aufmachung des Buches verliebt habe und es unbedingt lesen wollte. Es ist ein echter Eyecatcher und wird sicher vielen Lesern in der Buchhandlung direkt ins Auge fallen, sodass sie diese Geschichte ebenfalls entdecken wollen.

Direkt auf den ersten Seiten wird man als Leser in eine dramatische und ebenso tragische Situation geworfen, die das Interesse für die Geschichte weckt. Ich war sofort emotional involviert und wollte wissen, wie es in der Handlung weitergeht.
Wir sind am 1.April 1925 in Ginsterburg bei der Geburt von Olga Blume dabei, die die Protagonistin im weiteren Roman darstellen wird.
Ein einschneidendes Geschehnis an diesem Tag hat Auswirkungen auf ihr komplettes weiteres Leben, bei dem wir sie begleiten dürfen.
Wir lernen Olgas familiären Background kennen, erfahren mehr über ihren Vater Otto- einen Arzt, sowie die Mutter Elli, ihren Bruder Karl und ihren Großvater, ihren „Pa“, der ebenfalls als Arzt praktiziert.
Zu letzterem entwickelt sie im Laufe ihres Lebens eine ganz besondere Bindung und er hilft ihr, sich zu dem selbstbewussten Mädchen zu entwickeln, das uns in der Geschichte begegnet.
Sie darf ihm während seiner Behandlungen assistieren und weckt damit ihr Interesse an Medizin. Die Szenen zwischen den beiden sind einfach herzerwärmend und das Band zwischen den beiden ist etwas ganz besonderes. Generell ist Pa mein absoluter Lieblingscharakter in diesem Roman. Er hat sehr moderne, weltoffene Ansichten und war auch unvoreingenommen gegenüber Menschen, die er während des Nationalsozialismus laut der Regierung eigentlich als seine Feinde hätte ansehen sollen.

Im Laufe der Geschichte gibt es immer wieder verschieden große Zeitsprünge. Einen wesentlichen Teil nimmt das Jahr 1991 ein, in dem Olga, mittlerweile 66 Jahre alt, gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin eine Reise in ihre Vergangenheit unternimmt. Sie erinnert sich an ihre Kindheit und Jugend und besucht eine Station ihres früheren Lebens.
Bisher hat sie nur wenig von ihrer Vergangenheit preisgegeben, öffnet sich aber ihren Angehörigen Stück für Stück.
Auch uns als Leser wird ein großer Zeitraum von Olgas Leben nahegebracht. Wir lernen eine selbstbewusste, intelligente, wissbegierige und unabhängige junge Frau kennen, die für sich, ihre Interessen und Träume einsteht.
Schon früh zeigte sie Interesse an der Medizin und ging dieser Leidenschaft trotz vieler Steine, die ihr in den Weg gelegt wurden, immer nach. Sie ist sehr engagiert und hat auch kein Problem sich gegen Autoritäten aufzulehnen. Es ist absolut spannend zu lesen, wie Olga sich gegen alle Vorbehalte durchsetzt und ihr Ziel nicht aus den Augen verliert.
Des Weiteren begleiten wir Olga in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens bei Problemen mit Freunden, Eltern, Schule und Beruf, sowie der Liebe.
Wir lernen ihre Freunde kennen, die lebensfrohe Lotte, die am gleichen Tag wie Olga geboren ist, sowie den verwegenen Fritz und die Geschwister Annemie und Gero.
Gerade in der Jugend feiern sie gemeinsam das Leben trotz der äußeren Widrigkeiten des Kriegs und genießen es in vollen Zügen. Wir begleiten sie, wie sie gemeinsam erwachsen werden, zwischen HJ und BDM und umgeben von den schrecklichen Geschehnissen des Nationalsozialismus.
Fast alle genannten Thematiken ließen sich problemlos auf die Lebenswelt heutiger Jugendlicher übertragen. Auf gewisse Weise haben sie die gleichen und doch zeitgleich ganz andere Probleme mit denen sie zu kämpfen haben, als die Jugendlichen heutzutage.
Die oben genannten Charaktere waren allesamt sehr detailliert ausgearbeitet , aber ich habe stets eine große Distanz beim Lesen gespürt, weswegen mir die Figuren leider größtenteils eher fremd blieben.
An manchen Stellen waren mir persönlich die Zeitabstände zu groß und ich hatte das Gefühl zu viel in Olgas Entwicklung verpasst zu haben. Teilweise geht die Handlung sehr kleinschrittig voran, hielt sich an Unwichtigkeiten auf und an anderen Stellen werden dann große zeitliche Sprünge gemacht. Gerne hätte ich noch mehr über die zahlreichen Stationen in Olgas Leben gelesen um mich ihr näher zu fühlen.

Der Schreibstil ist sowohl bildlich als auch sehr eindringlich und gefühlvoll.
Er schafft es, dass man als Leser alles vor seinem inneren Auge sieht und sich als Teil der Geschichte fühlt. Großen Wert legt die Autorin außerdem auf Landschaftsbeschreibungen, die sie sehr malerisch darstellt.
An manchen Stellen hätte ich mir allerdings gewünscht, dass der Fokus mehr auf dem Inhalt und weniger auf der Sprache gelegen hätte. Aufgrund dessen wirkten manche Gespräche für mich sehr konstruiert und konnten trotz ernsthafter Thematik keine Emotionen bei mir erzeugen.
Die Autorin versteht es, gekonnt Fakten in ihren Roman einzuarbeiten. Man bekommt interessante Einblicke in die Medizin und Naturheilkunde und erfährt viel wissenswertes.
Zwischendurch fließt immer wieder politisches Zeitgeschehen in die Geschichte ein, welches aber relativ dezent eingesetzt wurde, sodass auch Leser ohne große politische Vorkenntnis der Handlung gut folgen können.
Die Kapitel sind kurz und prägnant, manche enden mit kleinen Cliffhangern, sodass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht.
Der Zeitgeist des dritten Reiches wurden in meinen Augen sehr gut eingefangen. Wir erfahren viel über den Alltag der Jugendlichen während des Nationalsozialismus, die schrecklichen Zustände wie Verzicht, Krankheiten und Flucht wurden dabei eindringlich dargestellt.
Auch die Themen Euthanasie und die schreckliche Vorkommnisse im Pflegewesen wurden sehr intensiv thematisiert und haben mich sehr berührt.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Autorin einen Roman verfasst hat, der auf spannende Art und Weise die Lebensumstände von Jugendlichen rund um den 2. Weltkrieg eingefangen hat, und einen tollen Hauptcharakter erschaffen hat, der stark, unabhängig und seiner Zeit weit voraus war.
Wer sich für Familiengeschichten interessiert, in denen man viel wissenswertes rund um Medizin und Naturheilkunde erfährt und die mit einem blumigen Schreibstil bestechen, ist hier eindeutig an der richtigen Stelle.