Lange, kalte Schatten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
wolfgangb Avatar

Von


Melanie Raabe gibt sich als freundliche, vertrauenerweckende Erzählerin aus, die ihre Leser tief in eine Geschichte um präzise gezeichnete, willensstarke Figuren führt. Wenn man schließlich zaghaft bereit ist, mit diesen Freundschaft zu schließen, ihre Sicht der Ereignisse zu teilen, wartet die Autorin plötzlich mit einer Wendung auf, die alle erlangte Information wieder infrage stellt. Die Erkenntniss, dass es stets mehr als eine gerechtfertigte Perspektive gibt, zu einem stimmigen Roman zu verarbeiten, das ist Erzählungst.

Ungeachtet dieser Vorschusslorbeeren setzt Raabes neuer Roman in einer Situation einer fundamentalen persönlichen Veränderung an: Hauptfigur Norah wirkt wie in einer Momentaufnahem im Sprung erstarrt, bereit zur Landung im Ungewissen, sobald der Leser die Play-Taste drückt. Ihr Leben ist in Umzugskartons komprimiert, muss sich im neuen Lebensraum erst neu entfalten. Und dieser ist durchzogen von beklemmender Kälte, die schwer über dem Alltäglichen liegt. Der Winter bietet den größtmöglichen Kontrast zwischen hell und dunkel, lässt jede Andeutung einer Katastrophe zu einem Vorboten drohenden Unheils werden.

Dieser Lebensraum ist die österreichische Hauptstadt Wien, eine Weltstadt, deren Charakter aus dem Gegensatz zwischen morbidem Charme und lebendigem Treiben geformt wird ...