Beeindruckend!

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gudrun_4 Avatar

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Man muss sich diesem Buch mit dem attraktiven Cover geduldig annähern. Wenn man sich darauf einlässt, ist es ungeheuer bereichernd und beeindruckend.
"Der Schneeleopard" ist keine abenteuerliche Reisebeschreibung, obwohl das Ziel im winterlichen Himalaja sehr exotisch anmutet.
Die Expeditionsteilnehmer und ihre Beweggründe werden bei scheinbar zufälligen Gelegenheiten beschrieben, Schilderungen und poetische Bilder der Landschaft und ihrer Bewohner wechseln mit Erörterungen politischer, geographischer und gesellschaftlicher Gegebenheiten ab und alles wird vom Autor reflektierend in Bezug zu seinem eigenen Leben gebracht.
In diesem Buch findet man wenig Ausschweifendes oder gar überflüssiges. Neben den bildhaften, wunderschönen und originellen Beschreibungen der Natur, unglaublich eindringlichen und verblüffenden Tierbeobachtungen zählt jeder Abschnitt. Es ist faszinierend, wie der Autor aus jeder Stimmung, jeder Beobachtung einen Aufhänger für seine philosophischen Betrachtungen macht. Es gibt in kurzen Kapiteln Erörterungen der verschiedensten Themen, seien es entwicklungsgeschichtliche, Umweltprobleme, menschliche und tierische Eigenschaften...
Wenn man sich darauf einlässt, kommt man beim Lesen immer wieder ins Stocken und Nachdenken: Ist es wirklich so, das Kultur mit Naturzerstörung gleichzusetzen ist? Frisst uns der Fortschritt auf? Das sind nur zwei der vielen Fragen, die ich mir beim Lesen gestellt habe und der vielen anderen, die Tesson sich selbst stellt. Einige seiner Erkenntnisse sind verstörend.
Eine bemerkenswerte Stelle, an der sich Tesson in die Yaks hineinversetzt, möchte ich zitieren:
Wir sind Natur, wir verändern uns nicht, wir sind von hier und von immer. Ihr seid Kultur, Plastik und Unbeständigkeit, ihr erfindet permanent etwas Neues, was genau sucht ihr eigentlich?
Er scheint nicht gerade optimistisch zu sein, was den Zustand unserer vom Menschen geformten - oder sollte ich sagen verformten - Welt angeht. Und so ist auch der etwas sarkastische Schluss des Buches nicht verwunderlich.

Fazit:
Ich hatte einen abenteuerlichen Expeditionsbericht erwartet und bekam ein hoch philosophisches Buch. Auf dieser Reise ist so viel Zeit, so viel Stille, dass man zwingend seinen Gedanken nachspüren und sie in andere Richtungen lenken kann als in der Betriebsamkeit des normalen mitteleuropäischen Alltags. Vielleicht ist es die Absicht des Autors, die Leser, die ja kaum die Gelegenheit haben, solche Erfahrungen selbst zu sammeln, auf eine andere, sensible Sicht auf das Leben zu stoßen. Dieser Anstoß ist ihm geglückt.