Die Schönheit der Natur (verschwindet hinter der Philosophie)

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In „Der Schneeleopard“ nimmt uns Sylvain Tesson mit auf eine aufregende, persönliche Reise nach Tibet, auf der Suche nach einem Tier und nach Selbsterkenntnis - dachte ich zumindest.

Beginnen wir damit, was ich an dem Buch mag: Tesson auf seiner Reise durch die einsame, naturbelassene Hochebene Tibets zu begleiten und mit ihm die Schönheit der Natur und des Schneeleoparden zu entdecken, ist eine inspiriende Erfahrung. Was er in den Wochen auf der Lauer nach Tieren erlebt und gefühlt hat, ist für jemanden, der noch nie weiter aus dem Stadtleben herausgekrochen ist als in die touristenüberfüllten Alpen, gänzlich neu.
Der Autor schafft es so, aufzuzeigen, dass die Welt noch andere Seiten hat als die vom Menschen verreinnahmten, und weckt im Leser die Sehnsucht nach der unberührten Natur. Dadurch überzeugt er ihn - ohne moralisierend zu sein - von der Wichtigkeit dessen, die Natur zu bewahren.

Eben genanntes kann Tesson zwar im Großen und Ganzen vermitteln, trotzdem gab es beim Lesen immer wieder Stellen, die ich mich zwingen musste, sie nicht zu überfliegen: statt seine Erlebnisse, Eindrücke und Gefühle weiterzugeben, schweift der Autor sehr oft und lange aus in literarische Anspielungen und Vergleiche der Natur mit der Kunst. Außerdem hat er einen leisen Hang dazu, die Wissenschaft etwas arrogant zu betrachten, weil die Kunst ja so viel offener für die gefühlte Wirklichkeit und Wahrheit ist.
Leider schafft er dadurch, dass er die Natur durch ein von Literaturanspielungen geschliffenes Kaleidoskop betrachtet, eben nicht, die gefühlte Wirklichkeit direkt an den Leser weiterzugeben, sondern lässt ihn nur die Stirn runzeln über seine hochtrabenden Gedankenspiele. Dadurch, dass sich das Buch an solchen Stellen eher liest wie ein Tagebuch, in dem Tesson alles notiert hat, was ihm irgendwie in den Sinn kommt, sucht man als Leser manchmal vergeblich einen roten Faden.
Wer also - wie ich - ein Buch erwartet hat, in dem die Reise, die Suche nach dem Schneeleoparden und die Natur im Vordergrund stehen, wird nicht auf seine Kosten kommen, denn das wichtigste Thema sind Tessons metaphysische Überlegungen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Sylvain Tesson mit „Der Schneeleopard“ eine Hymne auf die Schönheit der Natur geschrieben hat, die den Leser auf eine beeindruckende Reise nach Tibet mitnimmt. Hier ist aber vor allem der Inhalt beeindruckend - die Umsetzung ist weniger gelungen, da der Autor an einigen Stellen so sehr abschweift von dem eigentlichen Thema - der Natur - und so fokussiert ist auf seine ach so klugen und wichtigen philosophischen Gedanken, dass die Natur selbst in den Hintergrund tritt und der Leser langatmige Überlegungen durchhalten muss.