Toll geschrieben, aber etwas anstrengend

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"Der Schneeleopard" von Sylvain Tesson ist ein wirklich toll geschriebenes Buch. Der Autor findet stets bildgewaltige und eindrückliche Sprache um die exotische Sphäre, in welche er im Verlauf des Buches eindringt, zu beschreiben. Sowohl die schneidende Kälte, als auch die monomentalen Landschaften oder die sonderbaren Tiere werden dem Leser auf eindrückliche und mystische Art nahegebracht.

Was jedoch auch gleichzeitig meinen Hauptkritikpunkt am Werk Tessons darstellt: die Mystik. Während die deskriptiven Passagen ihres Gleichen suchen, verfällt der Autor leider ebenso oft in lange Tiraden über die Dummheit der westlichen Welt, die Naivität der Wissenschaft, die Einengung westlicher Kultur und die haltlose Zerstörung der Natur. Obgleich er dabei oft wahres anspricht, fällt vieles einfach in stumpfes "westlich, wissenschaftlich, modern = böse/ östlich, mystisch, traditionell = gut", wobei er oft extrem vereinfachte Versionen der Gegenseite angreift (über die Wissenschaft redet er beispielsweise nur als "Rechenfanatiker" und "Berechnungskünstler" und reduziert das Werk der wissenschaftlichen Methode auf reine Zahlenanhäufung, als direkten Kontrast zum weisen, spirituellen und reinen Verständnis der Natur, welches er und seine Begleiter vermeintlich aufbrächten. Sehr schade.
Diese Passagen nehmen ca. 10% des gesamten Werkes ein, während die restlichen 90% eine wirklich tolle und bildgewaltige Entführung in eine fremde Welt darstellt.
Wer sich selbst sowieso als leicht spirituell betrachtet, könnte hier ein neues Lieblingsbuch finden. Wer das nicht tut, kann immer noch ein wirklich schönes Werk, mit einigen anstrengenden Seiten, bestaunen.