Geschichten-Perlen

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nahadriel Avatar

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Vincent Delecroix hat sich einen Schuh als Thema genommen und um dieses kleine, für sich bedeutungslose Detail spinnt er aus je verschiedenen Perspektiven allein stehende Momentaufnahmen.  

Sein Stil ist locker-leicht und serviert dem Leser gut lesbare Geschichten, deren Stimmung leicht einfängt. Die Gefühle der Charaktere sind nachvollziehbar; ohne sich aufzudrängen sind sie auf den ersten Blick sichtbar. Sehr gelungen ist die Darstellung der Dilemmata und des Wandels, der sich in jeder der beiden vorliegenden Episoden mit den Protagonisten vollzieht - sei es der Vater, dessen Müdigkeit sich durchschlägt, den der Engel dann aber doch nciht losläßt, und seine Tochter, die wiederum sich für ein Kleinkind glaubwürdig beschwichtigen läßt, oder der junge Einbrecher, der im Verlauf seine eigenen Motive bzw. sein Selbstbild in Frage stellt. Interessant ist die Art und Weise, in der der Autor die "Pointe" - die Entdeckung des Schuhs, der Weg des Schuhs auf das Dach - am Ende der jeweiligen Episode fast schon nebenbei fallen läßt und sie so unaufdringlich sacken/sich setzen läßt. Dadurch bleibt man geistig in der Geschichte; der Autor schafft es durch den Stil der Kurzgeschichte, daß man über das mögliche weitere Geschehen - wie geht das Kind mit seiner Engelssichtung um? Hilft es ihm, seine psychischen Probleme zu überwinden? Wird der junge Mann als Einbrecher entlarvt und mit seiner Ex-Freundin konfrontiert? - nachdenkt. Die Charaktere werden zwar introspektiv gezeigt, aber weder beschrieben noch benannt, wodurch das Geschehen in jedem Ort, zu jeder Zeit passiert sein könnte, was die Identifikation bzw. Einbindung - neben den offenen Enden - noch einmal steigert.

Delecroix' Kunst besteht darin aus dem einzelnen Schuh eine Ansammlung im Prinzip allein stehender Geschichten zu kreieren, die jedoch in kurzen Nebensätzen nebeneinander in das gleiche Universum gesetzt werden; ob es eine weitere Verbindung geben wird, ist nicht abzusehen, scheint aber unwahrscheinlich.