Wie kommt der Schuh auf das Dach?

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buecherfan.wit Avatar

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Die Leseprobe enthält die ersten beiden Geschichten eines Romans, der aus zehn Episoden besteht. In der ersten

Geschichte kann ein kleines Mädchen nicht schlafen. Es sieht einen Engel in Hemd und Hose, ohne Flügel und mit

nur einem Schuh. Der Engel sieht auffallend traurig aus. In der zweiten Geschichte verschafft sich ein Mann Zugang

zu der Wohnung seiner ehemaligen Partnerin, die ihn verlassen hat, weil er immer traurig war. Aus Rache wirft er

einen Schuh seines Nachfolgers auf das gegenüberliegende Dach. Der Mann ist so extrem traurig, weil er sich ständig

mit dem Leid der ganzen Welt konfrontiert sieht und sein Leid mit dem der anderen, z.B. dem Leid eines Mannes

mit nur einem Bein vergleicht,  sich wegen dieses Vergleichs aber sogleich schuldig fühlt, da man Leid weder exakt

messen noch vergleichen kann.

In beiden Geschichten fungiert eine handelnde Person als Ich-Erzähler. In der ersten ist es der Vater des Mädchens,

in der zweiten der traurige Einbrecher. Man kann hier schon sehen, wie der Autor die Geschichten zu einem Roman

verbindet. Die Episoden werden keineswegs ohne jede Verbindung beliebig aneinandergereiht, sondern es gibt

Verknüpfungen, deren auffälligste natürlich der Schuh ist. Das Motiv der Traurigkeit ist eins ebenso wie das der

Schlaflosigkeit und der Alpträume, unter denen die Figuren des Romans leiden oder litten. Das alles wird sehr

humorvoll und witzig erzählt,  "angereichert" mit philosophischen Überlegungen. Ich sehe Parallelen zu einem

anderen französischen Roman, der 2006/2007  in Frankreich ein Bestseller war und mit  wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet

wurde und einen mindestens so extravaganten Titel hat wie der vorliegende: Muriel Barbérys Die Eleganz des Igels

(L´élégance du hérisson). Auch Barbéry ist von Haus aus Philosophin, und ihr Roman enthält  ausführliche

philosophische Exkurse, die  vielleicht nicht dem Geschmack des deutschen oder angloamerikanischen Durchschnitts-

lesers entsprechen, aber dennoch dazu beitragen, dass der Roman ganz außergewöhnlich ist.  Ich habe von der

Leseprobe einen ähnlich positiven Eindruck und glaube, dass es sich um ein sehr  lesenswertes Buch handelt.