Der Schuh oder Schuhe auf dem Dach

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buecherfan.wit Avatar

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Der Schauplatz des Romans ist ein großes Mietshaus in einem der weniger feinen Viertel von Paris in der Nähe der

Gare du Nord. Die Bewohner blicken nicht nur in den Innenhof, sondern auch in die gegenüberliegenden Wohnungen -

einige sehen das kleine Mädchen nachts am Fenster - und auf die Gleise, die aus dem Bahnhof hinausführen. Der

Bahnhof ist so nah, dass die Bewohner die Vibration in ihren Wohnungen spüren, wenn Züge vorbeifahren.

In zehn Episoden erzählt der Autor von Begebenheiten im Leben der Bewohner, die alle irgendwie mit einem Schuh

zu tun haben, der in fast allen Geschichten aus unterschiedlichen Gründen auf dem Dach landet. Der Schuh ist

jedoch nicht die einzige Verknüpfung der sehr unterschiedlichen Episoden. Die Bewohner kennen einander, wissen

von den Lebensumständen der anderen. Es gibt sogar denkende und sprechende Haustiere, die ebenfalls mitbe-

kommen, was passiert und sich darüber unterhalten: die Katze Zerberus hat  den nächtlichen Besucher in der Wohnung seiner Exfrau erkannt und erzählt den anderen davon, aber keiner glaubt ihr.

Das ist überwiegend witzig und amüsant erzählt - typisch französisch für mich -, aber es läßt sich nicht mühelos

konsumieren wie ein Krimi, nicht nur, weil es keine fortlaufende Handlung mit einerm überschaubaren kleinen

Personenkreis gibt. Witzig finde ich vor allem, dass er Autor so tut, als  existiere für die erzählten Begebenheiten

eine Realität außerhalb der Fiktion: die Personen der einen Episode sprechen über die Erlebnisse der anderen.

Es ist auch ein Roman über das Geschichtenerzählen und Schreiben selbst: In einer Fußnote(!) spricht eine der

Personen über den vergeblichen Versuch, einen Roman mit dem Titel "Der Schuh auf dem Dach" zu schreiben.

Stattdessen entstand die Abhandlung  "Rachsucht" - eine der Geschichten dieses Romans -, die der fiktive Autor

leider verlegt hat. Mit einem Augenzwinkern nennt der Autor Vincent Delecroix einige der Personen in seinem

Roman "Vincent". Das alles finde ich sehr gelungen, obwohl ich nach der Lektüre des Romans nicht ganz so be-

geistert bin wie von der Leseprobe.

"Quand je pense à tous les livres qu´il me reste à lire, j´ai la certitude d´être encore heureux."

Jules Renard