Genau das richtige Buch um aus einer Leseflaute zu entkommen

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ceciliasophie Avatar

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Das wichtigste vorweg: Das war ein grandioses Buch! Ich hatte eine unfassbar unterhaltsame Lesezeit und zu jedem Zeitpunkt, ob auf Seite 5 oder 500, hätte ich 5 Sterne vergeben. Die Geschichte hat mich aus meiner sommerlichen Leseflaute rausgeholt und mich in einen Zustand versetzt, in dem ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte und das gesamte Wochenende hinter den Seiten verbracht habe.

Das war die Kurzform, für eine gescheite Rezension braucht es ein stabiles Gerüst, einen Faden, an dem ich als Schreiberin dieser und Dritte als eventuelle Leser:innen von ihr, sich langhangeln können.
Leider sind meine Gedanken noch genauso verworren, wie die Geschichte es phasenweise war. Ich gebe mein Bestes, sie etwas zu ordnen und sinnvoll zu strukturieren.

Kinsch Na Shannack ist einer der unterhaltsamsten, skurrilsten und ehrlichsten Protagonisten, die mir in Büchern bisher begegnet sind. Ich mochte ihn auf Anhieb und schon die ersten Sätze der Geschichte brachten mich zum Schmunzeln.
Der gewitzte Dieb, der in der ruhigen, fast stoischen Ritterin Galva eine Weggefährtin findet, muss an ihrer Seite ungeahnte Abenteuer bestehen. Schließlich muss er seine eigene Haut vor der Gilde retten, deren Mitgliedern er viel Geld schuldet. Zusammen mit anderen Gefährten machen sie sich auf eine weite und beschwerliche Reise.

Die Charaktere waren einfach toll ausgearbeitet und gerade die kleine Reisegruppe ist so vielfältig und detailliert beschrieben gewesen. Natürlich hat es mir vor allem Kinsch Na Shannack angetan, der mich etwas an Locke Lamorra aus der „Gentleman Bastard“-Reihe von Scott Lynch erinnerte. Nicht nur, weil beide Diebe sind, sondern auch in ihrem Auftreten und Denkweise.
Und auch Galva sowie die anderen Reisegefährten haben mir sehr gut gefallen. Nicht alle Nebencharaktere waren so tiefgehend und detailliert ausgearbeitet, aber das hätte auch den Rahmen des Buches wahrlich gesprengt.
Auch die anderen Lebewesen, die die Welt von Kinsch Na Shannack bevölkern, kamen nicht zu kurz. So bekommen Kinsch Na Shannack und seine Gefährten es mit Kobolden, Riesen, Kraken und anderem zu tun.
Ich habe nicht die romantischste Ader, Liebesgeschichten lese ich mal ganz gerne, aber für mich ist eine Liebesbeziehung kein Muss in einem Fantasybuch. In der Geschichte gibt es eine Liebesbeziehung, die sogar ich echt toll fand. Nicht aufdringlich, nicht zu überzogen, einfach passend.
Doch die Welt rund um die Charaktere ist sehr düster und gefährlich. Ähnlich wie in Game of Thrones sterben (Neben-)Charaktere wie die Fliegen. Und das meist auf eine sehr unschöne Art und Weise. Von „gefallen“ in einem solchen Kontext zu schreiben, ist absolut unpassend. Aber ich fand es sehr viel authentischer, in einer Welt voller Krieg und Gewalt, dass Charaktere auch sterben müssen, als die Blümchen verstreuende Art der unbesiegbaren Charaktere, die in vielen anderen Fantasybüchern beschrieben werden.

Bei Fantasybüchern sind mir das Worldbuilding und ein nachvollziehbares Magiesystem sehr wichtig. So wichtig, dass diese Punkte maßgeblich meine Bewertung und Meinung von dem Buch beeinflussen. Natürlich sind auch mir die Charaktere und ihre Beziehungen zu- und untereinander wichtig, aber ich erwarte von jedem Autor und jeder Autorin, dass dieser Punkt gut ausgearbeitet wurde. Als Basis sozusagen. Aber den Unterschied von guter und weniger guter Fantasy machen in meinen Augen eben die Ausarbeitung des Magiesystems und das Worldbuilding an sich.
Was mir an diesem Buch wirklich gut gefallen hat, ist, dass beide Punkte sehr fließend in die Geschichte eingearbeitet wurden. In manchen Fantasybüchern wird dem Leser erst einmal ein mehrere Seiten umfassender Exkurs geboten, um die Welt logisch aufzuarbeiten. Ich persönlich finde das gar nicht schlimm, meist macht es mich neugierig auf mehr. Aber ich kann durchaus verstehen, warum andere Leser:innen dies langweilig finden.
Christopher Buehlman hingegen lässt seine Leser:innen immer häppchenweise an seinen Ideen teilhaben. Wohl dosiert und immer im richtigen Augenblick wurde man so langsam und beständig in die Welt eingeführt, um letztlich ganz in dieser unterzutauchen.
Einfach toll gelöst!
Und auch wenn ich sowohl das Worldbuilding als auch das Magiesystem gut erklärt finde, so bin ich doch noch immer nicht ganz zufrieden. Das liegt daran, dass das Buch durchaus als Einzelband funktioniert, aber eigentlich als erster Band einer Trilogie geplant ist. Nähere Informationen zum zweiten Teil sind derzeit leider noch nicht zu finden. Deswegen finde ich es verschmerzbar, dass das Magiesystem noch etwas schwammig ist und hoffe auf weitere Ausführungen in den folgenden Bänden.

Beim Lesen habe ich mir immer wieder eine Karte gewünscht, um die zurückgelegte Strecke der Truppe nachvollziehen zu können. Wie sich herausstellte, gab es auch eine Karte. Die fiel mir aber erst nach Beenden der Geschichte auf, da sie mit im Anhang abgedruckt war. Etwas schade, ich hätte sie mir gleich zu Beginn gewünscht.

Der Schreibstil war eher umgangssprachlich und passte gut zu der Geschichte sowie den Charakteren. Außerdem war es ein absolut humorvoll geschriebenes Buch. Das liegt zu großen Teilen daran, dass Kinsch Na Shannack ein Protagonist war, der das Leben nicht so ernst nimmt und die Geschichte in der Ich-Perspektive verfasst war. Der Humor war manchmal etwas drüber, etwas düster, etwas herb, oftmals unpassend, aber einfach wahnsinnig unterhaltend. Und das auf eine eher trockene und sarkastische Art und Weise, nicht auf die rumblödelnde, in grellen Farben überzogene Art von Humor.
Immer wieder werden im Stile Tolkiens Lieder, Verse und Reime eingeflochten, teils in vom Autor erdachten Sprachen. Wie viele Gedanken sich dieser um seine geschaffene Welt gemacht hat, zeigt sich auch hier wieder.
Ansonsten ist der Ton teilweise sehr brutal und wenig beschönigend. Das Buch ist definitiv für ein erwachsenes Publikum geschrieben.

Ich kann es kaum erwarten, dass der nächste Band erscheint und kann das Buch jedem Fantasy Liebhaber uneingeschränkt empfehlen. Auf den knapp 530 Seiten bekommt man einfach viel geboten und mich konnte die Geschichte rund um Kinsch Na Shannack sehr mitreißen.