Unerwartet blutiger, gelungener Auftakt um die Abenteuer des schwarzzüngigen Diebes Kinsch

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alekto Avatar

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Kinsch Na Schannack, der von der mächtigen Nehmergilde zum Dieb ausgebildet wurde, ist nun Praktiker in seinem dritten Jahr. Wegen der hohen Kosten dieser Ausbildung hat Kinsch trotz seines Talents hohe Schulden bei der Gilde. So hat er sich den Wegelagerern unter Führung von Pagran angeschlossen, um seine Schulden, mit denen er leider schon im Verzug ist, tilgen zu können. Doch die Bande um Pagran gerät an das falsche Opfer, als sie versuchen die alleinreisende Spanthierin Galva auszurauben, auf deren wertvollen Schild es Pagran abgesehen hat. Denn die Spanthierin ist nicht nur die beste Kämpferin, die Kinsch je gesehen hat, sondern wird von einem ihr treu ergebenen Raben, der die Größe eines Hirsches hat, im Kampf unterstützt. Die Diebesbande hat keine Chance. Aber Kinsch hat sich den Respekt der Spanthierin damit verschafft, dass ein von ihm verschossener Pfeil sie getroffen hat. Und so kann Kinsch, als er den Auftrag dazu von der Gilde erhält, Galva beschwatzen, sie auf ihrem Weg nach Austrim begleiten zu dürfen. Dessen Hauptstadt Hrava ist ihr Ziel, obwohl die Stadt von einer Armee von Riesen überrannt worden ist.

In kurzen Kapiteln von angenehmer Länge, die stets passende Titel wie "Die Braut der dünnen Frau", "Fiedeln und Hungerkünstler" oder auch "Totenbein" tragen, entführt Christopher Buehlman in das von ihm geschaffene, phantastische Reich. Dabei hat der Autor nicht nur eine, sondern verschiedene Sprachen für die unterschiedlichen Völker seiner Welt ersonnen, was mich an Tolkien erinnert hat. Detailverliebt beschreibt er die Besonderheiten der einzelnen Sprachen und deren Unterschiede, wenn sie Kinsch in einem Gespräch auffallen. Dies beschränkt sich aber im Wesentlichen auf Kraftausdrücke, für die der Dieb eine Schwäche hat. Auch macht er sich oft darüber lustig, wenn etwa eine Ispantherin des Holtischen nicht mächtig ist und ihr im Gebrauch der für sie fremden Sprache viele Fehler unterlaufen, oder wenn Figuren nicht in der Lage sind Worte in einer anderen Sprache korrekt auszusprechen. Diese Fokussierung auf Flüche, Schimpfworte, sprachliche Schwächen und Akzente hat zumindest meinen Sinn für Humor leider nicht so ganz getroffen.
Der Einstieg in den Roman ist mir eher schwer gefallen, da mich der Autor mitten ins Geschehen hineingeworfen hat, als Kinsch am Überfall auf Galva beteiligt gewesen ist. Das ist am Anfang ganz schön viel Neues auf einmal für mich gewesen. Im Anhang dieses Romans finden sich zwar eine schön gestaltete Karte sowie ein Kalender, der die Wochentage und Monate zeigt, geholfen hätte mir jedoch ein leider fehlendes Glossar, das etwa die verschiedenen Völker (z.B. Gallardier und Ispanthier), deren Gottheiten (z.B. Allgott, verbotener Gott, Meeresgott Mithrenor) und die Gilden (u.a. Nehmergilde, Magikergilde) erläutert.
Im weiteren Verlauf, wenn die Reise der Gefährten so richtig in Fahrt kommt, wird das hohe Spannungslevel immer wieder durch dann erfolgende Einschübe, die in Gestalt von Rückblicken, Erinnerungen oder kleinen Geschichtsstunden erforderliche Erklärungen liefern, ausgebremst. Das ist zwar raffiniert arrangiert, hätte mir aber als chronologisch erzählte Geschichte besser gefallen. Diese hätte mit einem Prolog, der die Ereignisse der Koboldkriege kurz anreißt, begonnen, um dann mit der Schilderung des Lebens von Kinsch fortzufahren, wenn er sich für eine Ausbildung zum Dieb bei der Nehmergilde entscheidet.

Galva ist eine ausgezeichnete, ihren Wein liebende Kämpferin, die so wortkarg wie effizient und zielstrebig ihre Mission verfolgt, die sie nach ihrer Prinzessin, der Infantin Mireya, suchen lässt. Kinsch ist ein noch junger, aber fähiger Dieb, der nie um eine witzige Bemerkung verlegen ist, mit der er seinen Schutzheiligen - den Fuchs Fothannon, den Meister des Unfugs und Schabernacks, zu erfreuen sucht. Galva und Kinsch mögen recht einseitig charakterisiert sein. Dagegen ist die Dynamik ihrer Beziehung interessant. Bei allen Unterschieden verbindet beide ihre Zuneigung zu Tieren. Denn Galva liebt ihren Kampfraben so wie Kinsch den blinden, streunenden Kater, den er Karl tauft und kurz vor Beginn ihrer gemeinsamen Reise aufgelesen hat. Und Kater Karl mausert sich im weiteren Verlauf immer mehr zum lustigen Szenendieb, was in gelungenem Kontrast zu dem düsteren Geheimnis, das er in sich trägt, steht.
Die fortwährenden Beschimpfungen und unablässige Flucherei, wegen der in den Dialogen immer wieder kein richtiges Gespräch zustande kommen kann, haben bei mir den Lesefluss eher gestört, als dass sie mich in späteren Kapiteln noch so gut wie zu Beginn unterhalten hätten. Da wäre für meinen Geschmack weniger mehr gewesen. Dagegen haben mich die plastisch geschilderten Kämpfe, die durch ungewöhnliche Elemente wie etwa den Einsatz eines Kampfrabens bestechen, durchweg überzeugt.
In den Bann gezogen hat mich dieser Roman, als die Reise der Gefährten um Galva und Kinsch nach Austrim richtig los gegangen ist. Faszinierend ist ihr Besuch bei der mächtigen, unabhängigen Magikerin Totenbein, spannend und intensiv ihr sich daran anschließender, nahezu ausgeglichener Kampf mit den Wegelagerern, der seinen würdigen Abschluss in einem unerwarteten Wiedersehen danach findet. Gefesselt hat mich das Ringen mit einem Meeresungeheuer, das überraschende Aufeinandertreffen mit Verbündeten und anderen Kreaturen im Kapitel "Absolut nicht heiratsfähig", das unter Beweis stellt, wie passend die Überschriften doch sind, ohne dabei zu viel zu verraten. Und das ist nur die erste Hälfte des Romans.

"Der schwarzzüngige Dieb" ist nur der Auftakt einer Reihe um den Dieb Kinsch und die Kämpferin Galva, die in weiteren Bänden mehr Abenteuer in dieser von Buehlman erschaffenen, von seiner Phantasie so überbordenden Welt zu bestreiten haben werden. Dementsprechend offen ist auch das Ende dieses ersten Bandes ausgefallen, obwohl dieser in einen beeindruckenden Kampf mündete und mit einigen überraschenden Enthüllungen aufzuwarten wusste.
Da ich die so abgründige wie intrigante Nehmergilde und die geheimnisvollen, unabhängigen Magiker wie Totenbein mit als stärkste Elemente dieses Romans wahrgenommen habe, gefällt mir gut, dass die im nächsten Band wohl eine noch größere Rolle spielen werden. Als interessant habe ich etwa die verschiedenen Hierarchiestufen der oft im verborgenen agierenden und so ihre wahre Macht verschleiernden Nehmergilde empfunden, deren höchste der Hungerkünstler ist. Fasziniert hat mich auch der Einsatz von Magie. So lebt Totenbein in einem auf dem Kopf stehenden Turm, in dem sie von den durch sie erschaffenen Kürbisdienern umsorgt wird.