Unfassbar!

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Sture Bergwall, ein homosexueller Drogensüchtiger, wird 1991 in die Psychiatrie eingewiesen. Im Laufe der Zeit gesteht er mehr als 30 Morde und wird für mehrere davon verurteilt. Jahre später stellt sich heraus, dass er keinen einzigen davon begangen hat und dass er aufgrund der (nicht) vorliegenden Beweise niemals hätte verurteilt werden können. Wie konnte das alles passieren? Dan Joseffson hat versucht, darauf eine Antwort zu finden.

Das Buch ist sehr akribisch recherchiert, Dan Joseffson hat sich unglaublich viel Mühe gegeben, die ganzen Fakten zusammenzutragen. Er hat mit allen beteiligten Personen gesprochen, die dazu bereit waren, hat sich durch Vernehmungsprotokolle und die Patientenakte gearbeitet und Videos von den Ortsbegehungen gesichtet. Herausgekommen ist ein sehr umfangreiches Sachbuch, das sich durchaus spannend und flüssig liest. Trotzdem ist es meiner Meinung nach an einigen Stellen viel zu detailliert. Da sich die Vorgänge bei den einzelnen Mordermittlungen gleichen, hätte man gewiss an einigen Stellen kürzen können. Bei dem Protokoll des x-ten Ortsbegehungs-Videos interessiert mich z.B. nicht, was die einzelnen Personen für Kleidung tragen.

Joseffson bemüht sich zwar um eine neutrale Berichterstattung, trotzdem habe ich das Gefühl, dass unterschwellig Margit Norell dafür verantwortlich gemacht wird, dass sich alles so extrem entwickeln konnte, und Sture Bergwall als Opfer dargestellt wird. Wirklich nachvollziehen kann das, was da passiert ist, vermutlich nur jemand, der selber dabei war, trotzdem denke ich, dass gerade Therapeuten, Staatsanwälte und Polizisten eine Verantwortung haben, der sie hier in keinster Weise gerecht wurden. Man kann das ganze Geschehen nicht auf eine einzige Person abschieben, die einen „sektenartigen Einfluss“ auf die anderen ausgeübt hat. Und Bergwall hat, so wie ich es aus dem Buch verstanden habe, seinen ersten Mord mit voller Absicht gestanden, um weiterhin in seinem bequemen Zimmer in der Psychiatrie bleiben zu können und seiner Medikamentensucht zu frönen. Er hat selber beschlossen, sich als Serienmörder zu stilisieren, und zu dem Zeitpunkt wusste er noch, was er tat. Klar war irgendwann der Punkt erreicht, wo er keine Chance mehr hatte, das Ganze aufzuhalten und außerdem viel zu zugedröhnt war. Trotzdem war er derjenige, der alles ins Rollen gebracht hat.

Auch hat er nach dem Entzug anscheinend keinerlei falsche Erinnerungen mehr? Auf einmal ist keine Rede mehr davon, dass er selber als Kind missbraucht worden ist, o. ä. Aber das halbe Buch handelt davon, wie durch die falschen Therapie-Methoden den Patienten falsche Erinnerungen eingepflanzt wurden. Bei Sture lag es aber dann wohl mehr am Medikamentenmissbrauch.

Am Ende hatte ich den Eindruck, dass sich Sture jetzt in seiner neuen Opferrolle gefällt. Kein Gedanke an die Angehörigen seiner angebliche „Opfer“, und an seine eigene Familie und was diese wegen ihm durchmachen mussten. Was mir überhaupt an dem Buch fehlt, sind die Blickwinkel der Angehörigen und der Außenstehenden. Die werden zwar manchmal gestreift, gehen aber in dem Buch ziemlich unter. Irgendwelche Konsequenzen die aus dem Skandal gezogen wurden (oder eben auch nicht) werden nur gestreift. Bleibt zu hoffen, dass sich nach dem Buch etwas mehr tut.
Trotz allem ein wichtiges Buch, das viele Missstände aufdeckt.

Eine schockierende Enthüllungsgeschichte, die aber sehr detailliert ausfällt. Man braucht einen langen Atem für das Buch.