Interessantes Experiment

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stephanus217 Avatar

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Ich bin schon lange der Meinung, dass man „tik tok“, „instagram“ und wie sie alle heißen, nicht kampflos das Feld überlassen darf. Den Versuch der Autorin Annika Thor, auch der Generation Smartphone abendländische Kultur näher zu bringen, kann ich deshalb nur unterstützen. Dass sie sich gerade die „Odyssee“ vorgenommen hat, eines der wichtigsten Werke der Weltliteratur, eines der alleresten überlieferten literarischen Werke überhaupt, zeugt von Mut.

Worum geht’s?
Odysseus ist der König von Ithaka und einer der Heerführer des griechischen Heeres, das unter Agamemnon, König von Mykene, nach Troja aufbricht, um die entführte Königin Helena von Sparta, seine Schwägerin, zu befreien. Nach einem langen Krieg gelingt das Unterfangen letztendlich und Odysseus bricht mit seinen Gerährten wieder in die Heimat auf. Aber bekanntlich steht diese Reise unter keinem guten Stern. Unzähliche gefährliche Abenteuer sind von den Gefährten zu bestehen und erst nach Jahren gelingt die Heimkehr.
Die hier erzählte Geschichte setzt ein, als man in Ithaka vom Kriegsende in Troja erfahren hatte und die Rückkehrer sehnlichst erwartet werden. Die Geschichte wird erzählt aus der Sicht des Telemachos, dem 11-jährigen Sohn des Odysseus, der seinen Vater noch nie gesehen hat, da er noch nicht ein Jahr alt war, als der Vater in den Krieg gezogen ist. Er lebt mit seiner Mutter Penelope und seinem Großvater Laertes und anderen im königlichen Palast, aber seine wichtigste Bezugsperson ist seine Kinderfrau Eurykleia, die bereits Odysseus erzogen hatte. Von ihm erzählt sie Telemachos, der seinen Vater mehr und mehr vermisst, in langen Abenden und Nächten. War die Stimmung in Ithaka nach Vermeldung der nahen Rückkehr der Krieger zunächst euphorisch, wird die Situation aber, je länger diese auf sich warten lässt, immer schwieriger. Wird Pelepone als Königin zunächst als Stellvertreter des Odysseus respektiert und geachtet, werden die Stimmen allmählich lauter, die fordern, die Geschicke der Insel in andere, männliche Hände zu geben. Mehr und mehr wird sie gedrängt, sich wieder zu verheiraten. Mit Odysseus Rückkehr rechnet am Ende kaum noch einer. Verunsichert und verängstigt wünscht sich dagegen Telemachos sehnlichst, dass sein Vater zurückkommen wird. Mutter und Sohn wollen dem Druck unbedingt stand halten, bedingungslos unterstützt von Eurykleia.
Das Ende ist ja hinlänglich bekannt, allerdings hat sich die Autorin auch noch die eine oder andere Überraschung einfallen lassen...

Wie war´s?
Ich finde, das Experiment ist voll und ganz gelungen. Die Geschichte ist an das „Original“ zwar angelehnt, aber durchaus ein absolut eigenständiges Werk; das bedingt ja schon der unterschiedliche Blickwinkel. Hierdurch ist auch ein echter Mehrwert entstanden. Hier geht es über eine Abenteuergeschichte, die das Original ja im besten Sinne darstellt, hinaus. Hier geht es auch um Verlust, Ängste, Trauer, Verantwortung, Verlässlichkeit, Loyalität und Reife.
Die Sprache ist durchaus anspruchsvoll, aber modern und lebendig. Vielleicht ist aber wirklich der Altersvorgabe etwas zu niedrig angesetzt. Andererseits ist es ja ausdrücklich Ziel des Buches, über Comic-Niveau hinaus zu gehen. Das im Annex befindliche Personenverzeichnis ist insofern hilfreich.
Die Kritik der latenten Brutalität, die einige Co-Vorableser äußern, lasse ich nicht gelten. Das Original ist „eben so“ und wenn ich mal die Märchen der Brüder Grimm als Maßstab nehme....

Und schließlich:
Das Cover ist hochwertig und toll gestaltet und die vielen Ilustrationen passen prima zu der Geschichte und sind liebevoll detailreich gezeichnet.

Ich hoffe sehr, dass sich viele Kids für dieses tolles Buch begeistern lassen.