Kriegs-Schmonzette im Schmöker-Format

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evelynmartina Avatar

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Die Geschichte in „Der Sommer der Freiheit" von Heidi Rehn ist schnell erzählt:

Sie beginnt im Jahre 1913. Selma, die junge, verwöhnte Tochter einer einflußreichen Verleger-Familie, verbringt mit ihrer Sippe wie jedes Jahr die „Sommerfrische“ in Baden-Baden. Doch im Sommer 1913 ist alles ganz anders. Ihr Verlobter Gero schickt anstatt sich selbst sein Automobil, mit dem Selma das Autofahren lernt und eigenmächtig die nähere Umgebung erkundet. Und sie macht Bekannschaft mit dem smarten Robert, einem Fotografen und seines Zeichens Franzose, was für den weiteren Verlauf der Geschichte, nämlich den Ausbruch des 1. Weltkrieges und das Kriegsgeschehen eine nicht unerhebliche Rolle spielt.

Aber bis es dazu kommt, muss der Leser sich durch fast 300 Seiten „arbeiten“, die gefüllt sind mit Schilderungen von sich wiederholenden Ausflügen und damit verbundenen Ortsbeschreibungen, mit gesellschaftlichen Ereignissen, bei denen vor allem die vorherrschende Mode im Vordergrund steht, mit belanglosen Dialogen und unnötigen Sex-Szenen, selbst diese tragen nicht zur Spannung bei.
Der damalige Zeitgeist spiegelt sich zwar recht gut wider, was jedoch zu Lasten der Handlung geht.
Tabu-Themen wie Homo-/Bisexualität werden angeschnitten, bleiben aber unterm Strich Tabu-Themen. Stattdessen werden Kleinigkeiten regelrecht aufgebauscht.
Kurzum: Es tut sich in der ersten Hälfte des Buches wenig bis gar nichts, was fesseln könnte.

Als sich das Geschehen in die Jahre 1915 bis 1918 verlagert, nimmt auch die Handlung endlich etwas Fahrt auf, wobei die Auswirkungen des Krieges auf den „kleinen Mann“ mehr im Vordergrund stehen als politische und geschichtliche Fakten.

Der Roman endet schließlich mit der Nachkriegszeit und einem Ausblick in die Zukunft, der alle Beteiligten hoffen lässt.

Das Buch hat es mir nicht leicht gemacht, obwohl es einfach zu lesen ist.
Es fehlte mir besonders die knisternde Spannung, die Mitleiden und Mitfiebern hervorrufen kann. So aber hat mich der Fortgang der Geschichte kaum interessiert, zumal der Ausgang keine große Überraschung ist.
Die Figuren und ihre Verhaltensweisen sind mir leider fremd geblieben, wirkliche Sympathie und Empathie habe ich nicht empfunden.
Lobens- und anerkennenswert ist sicherlich die gründliche Recherche der Autorin. Dennoch erschien es mir an einigen Stellen, als wolle sie partout ihr gesamtes Wissen über die damalige Zeit oder über bedeutende Schauplätze einflechten. Langatmige, ausschweifende und detailverliebte Ausführungen wirkten auf mich ermüdend, so daß ich am Schluß recht froh war, das Buch endgültig zuklappen zu können.

Wer sich jedoch gerne berieseln lassen und zudem etwas über starke Frauen und in meinen Augen schwache Männer sowie deren zwielichtige Gefühle zu-, mit- und gegeneinander in einer Zeit des Auf- und Umbruchs lesen möchte, der liegt mit „Der Sommer der Freiheit“ genau richtig.