Sommer der Freiheit

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raschke64 Avatar

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Text auf dem Buchrücken: Selma, die Tochter eines angesehenen Zeitungsverlegers, fährt mit ihrer Familie wie jedes Jahr in die Sommerfrische nach Baden-Baden. Man genießt das elegante Ambiente, die Konzerte und Bälle. Selma hat gerade – zum Entsetzen der Mutter! – das Autofahren gelernt und wartet ungeduldig auf die Ankunft ihres Verlobten Gero. Da lernt sie bei einem Ausflug ins nahe gelegene Elsass den französischen Fotografen Robert kennen – und verliebt sich unsterblich in ihn. Doch wir schreiben das Jahr 1913, und bald wird der Geliebte zu den Feinden zählen …

Atmosphärisch, sinnlich, dramatisch – Heidi Rehn beschwört eine untergegangene Welt herauf.



Sorry, ich muss ein anderes Buch gelesen haben. Statt „atmosphärisch, sinnlich, dramatisch“ fand ich das erste Drittel des Buches so langweilig, dass ich mehrfach versucht war, das Buch ganz wegzulegen. Selma ist die verwöhnte Tochter aus höheren Kreisen. Unsterbliche Liebe zu Robert? Für mich Fehlanzeige. Statt dessen das Tändeln zwischen ihrem Verloben und später auch Ehemann und ihren Geliebten. Ist sie mit dem einem nicht glücklich, wechselt sie zu dem anderen. Aber bei keinem von beiden konnte ich richtige Liebe entdecken. Sie genießt das Leben und ihre (geheime) Freiheit und nutzt viele Leute stark aus. Erst als sie ein Kind erwartet, trifft sie überhaupt eine Entscheidung. Bis dahin war sie mir als Figur mehr als unsympathisch und das änderte sich im Laufe des Buches nicht wirklich. Ihre Entscheidungen kann ich kaum nachvollziehen. Sie erschien mir kalt und oft herzlos. Und als Hauptfigur eines so dicken Buches auch irgendwie „flach“.

Besser gefallen haben wir da einige eher Nebenfiguren, so an erster Stelle die lebenskluge Großmutter, ihr Bruder oder ihre Freundin Constanze. Diese waren nachvollziehbar und liebevoll beschrieben, zeigten Gefühle und wirkten menschlich. Dadurch wurde das Buch dann aber der Mitte ebenfalls lebendiger und besser zu lesen.

Insgesamt war es für mich aber eher eine Enttäuschung. Alles spielte sich zwar im Zeitraum des 1. Weltkrieges ab, aber irgendwie war dieser nur eine „Randerscheinung“. Die Hauptfiguren hatten nur Sorge, dass es keinen guten Kleiderstoff, keinen Champagner oder kein Mehr-Gänge-Menü mehr gab. Kein Benzin für Ausfahrten, keine Bälle, keine Vergnügungen mehr. Erholung in der Schweiz – was schert mich der Rest der Welt? Es gab sicher solche Personen, doch sie sind eine verschwindet kleine Minderheit. Diese als tragende Figuren für eine Zeit im Umbruch zu nehmen, erscheint mir wenig glaubhaft. Wenn Frauenbefreiung ist, dass Frauen sich jetzt offiziell Geliebte nehmen können, habe ich eine andere Auffassung davon. Hier wird das so wichtige Wahlrecht der Frauen am Rande erwähnt, wie fast alle wichtigen Sachen in dieser Zeit. Mir hat diese reine Reduzierung auf eine private (und teilweise sehr versnobte) Familie aus höheren Kreisen nicht gefallen. Da wäre viel mehr möglich gewesen. Schade.