Phantasie ist wichtiger als Wissen

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„Einstein sagt, die Zeit ist nicht das, was wir glauben, sie ist etwas ganz anderes. Sie ist nichts Absolutes. Sie ist eine Illusion, ein Zaubertrick für unseren gutgläubigen Blick." (7)

Ein alter Mann namens Otto erinnert sich zurück an die Jubiläumsausstellung in Göteborg im Jahr 1923. Damals ist er dreizehn Jahre alt und ein Waisenkind, das auf dem Gutshof eines reichen Mannes lebt und sich dort um den widerspenstigen Esel Bella kümmert. Als für das Kinderparadies der Ausstellung ein Esel benötigt wird, darf Otto mit Bella nach Göteborg reisen.

Zur selben Zeit ist auch Albert Einstein in Göteborg, denn er soll hier seine Vorlesung zum Erhalt seines Nobelpreises nachholen. Einstein ist damals bereits ein prominenter Wissenschaftler und gern geladener, charismatischer Redner. Doch er hat auch seine Feinde.

Und dann gibt es noch zwei weitere Figuren in der Geschichte: Die junge Journalistin Ellen, die für die Ausstellungszeitung schreibt und der Polizist Nils, die gemeinsam versuchen, Einstein vor einem Angriff zu schützen.

Die Erzählperspektive wechselt zwischen diesen vier Personen und die Geschenisse sind eingebettet in Ottos „Erinnerungen“ - so weit man das bei einem demenzkranken 92-Jährigen so nennen kann. Oder, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen:

„Und das Vergessen ist auch nicht das, was wir glauben: eine ätzende Flüssigkeit, die alles auflöst und vernichtet. Es ist reine Dunkelheit. Alles Geschehene ist noch da, wenn auch unsichtbar, wie Möbel in einem Zimmer in der Nacht. (...) Was ich erleb, ist so viel mehr. Es hat nichts Plattes oder Steifes, sondern eine lebendige Welt, mit Tiefe und Bewegung, Farben und Schatten, Stimmen und Gerüchen.“ (7/8)

Dieses Zitat beschreibt sehr gut, wie besonders die Erzählstruktur in diesem Roman ist. Am Ende laufen auf herrlich ironische Weise alle Handlungsfäden wieder zusammen. Ganz elegant und fast nebensächlich.

Schweden, die Zwanziger Jahre und Einstein - "Der Sommer, in dem Einstein verschwand" sprach mich direkt mehrfach an und hat meine hohen Erwartungen noch übertroffen. Es werden auch viele weitere Themen behandelt: Das neue Frauenbild, Stadt versus Land, die modernen Errungenschaften der Wissenschaft und Technik, die Schere zwischen arm und reich. Verschwörungstheoretiker, Betrüger, die Polizeiarbeit, der Journalismus - auch diese Themen finden Erwähnung.

Zeitgeschichtliche Ereignisse werden mit einer fiktiven Kriminalgeschichte verwoben und ergeben einen wunderbaren Unterhaltungsroman. Spannend, intelligent, atmosphärisch und einfach nur schön. Vielleicht habe ich eine neue Lieblingsautorin entdeckt…! :-)